Neonazis in Nadelstreifen
Umtrieben der HDJ Kenntnis erhalten.
In Eschede, am Rande der Lüneburger Heide, herrschen dagegen klare Verhältnisse, denn Landwirt Joachim Nahtz ist selbst NPD -Mitglied und steht der völkischen Erziehertruppe wohlwollend gegenüber. Sein Sohn steigt in grüner Arbeitshose vom Trecker und läuft über den Lagerplatz auf befreundete Kameraden zu, um ein Schwätzchen zu halten. Nahtz’ Ehefrau zeigt den Gästen, wohin sie die Wasserschläuche verlegen können. Es wird organisiert und getan, als wenn es die Außenwelt gar nicht gäbe. Regenschauer, Nebel oder Polizeihubschrauber hätten ihnen nichts anhaben können, schreibt HDJ -Bundesführerin Holle Böhm später begeistert im »Funkenflug«. Sie lobt die fleißige Arbeit ihrer Anhänger und erfreut sich an der »Auftanzschlange beim Bunten Abend«. Denn trotz Anwesenheit einiger entfernt stehender Beobachter kann das Pfingstlager auf grüner Wiese stattfinden, versteckt gelegen zwischen Waldstücken und verborgen hinter hohen Getreidepflanzen. »Den Mais habe ich extra nicht gemäht«, berichtet der NPD -Bauer stolz.
HDJ -Teilnehmer waren aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, auch aus Bayern, Berlin und Sachsen. Die » HDJ -Einheiten Hessen, Preußen, Schwaben, Franken, Nordland, Hermannsland, Niedersachsen, Mecklenburg und Pommern« halten regelmäßig bundesweite Lager ab, zwischendurch konzentrieren sie sich auf regionale Aktivitäten. Die Kinder sollen unter strenger Führung die deutsche Heimat kennenlernen. Lager-Profis der Organisation sorgen für einen reibungslosen Ablauf. Kinder und Jugendliche werden rund um die Uhr beschäftigt, mit Sport, Geländespiel, Wettkampf, Tanz und theoretischen Schulstunden, in denen Runenkunde oder die Grenzen von 1937 gelehrt werden. Ihnen wird eingeimpft, Fremdsprachen zu vermeiden. Aus Pizza wird so Gemüsekuchen und aus Internet Weltnetz mit Heimatseiten statt Homepages. Dafür lernen sie Schimpfworte für die verhasste Demokratie, zum Beispiel »krankes System«, »Gesellschaft der Umerzieher« oder » BRD isten«. In eigens entworfenen Kreuzworträtseln tauchen vorrangig Fragen auf wie: »Hauptstadt Schlesiens?« oder »Führer des letzten Deutschen Reiches?«
»Wer auf Lagern Zeit zum Lesen findet, tut mir wirklich aufrichtig leid«, schreibt Holle Böhm im »Funkenflug«. Sie lehnt es ab, dass Jugendliche sich aus der Gemeinschaft ausklinken, um zwischendurch mal für sich allein mit Kopfhörern Musik zu hören, weil damit »das Band zu den Kameraden« durchschnitten werde. Böhm, selbst in straff hierarchisch ausgerichteter Familie mit strenger »Stammmutter« erzogen, mahnt ihre Zöglinge, in den Lagern bestehe die beste Möglichkeit, »für kurze Zeit ein Leben nach unserer Art« zu führen, da bewirke Musik aus der Konserve einen »zerstörenden Bruch«. Zum Beispiel gilt der bei Jugendlichen beliebte Hip-Hop in der HDJ als »schwarze Un-Kultur«. Auch damit haben sich HDJ ler im »Funkenflug« bereits auseinandergesetzt. So glaubt man fest daran, »diese Entartung« werde sich – wie viele andere Erscheinungen der amerikanischen Gesellschaft auch – »erledigen«, denn »sobald die Jugend wieder erkennen wird, wo ihre kulturelle Wurzel liegt, wird sie nicht nur die Symptome beseitigen, sondern den ganzen Virus«. Die Erzieher der HDJ überlassen nur ungern etwas dem Zufall. Sie beschäftigen sich intensiv mit Kindergarten und Schule und erstellen Regeln, »wie man kritisch und sachlich im Unterricht mit linken Lehrern und gehirngewaschenen Mitschülern umgeht«. HDJ -Kinder werden aufgefordert, in der Schule offen die Konfrontation zu suchen und Gegenpositionen zu vertreten. Sie sollen Lehrer und Mitschüler mit Gegenfragen »aus der Reserve locken« und so aus »speziellen Themen Grundsatzdiskussionen« machen. Toleranz gilt bei den Neonazi-Erziehern als ein Begriff für »Feige, Schwache und Menschen ohne wirkliche Überzeugungen«.
Der psychische Druck muss für viele Kinder unerträglich sein. Mit so hohen Erwartungen konfrontiert, sollen sie einerseits gegenüber Eltern und politischer Organisation, andererseits in der Schule »funktionieren«. Tanja Privenau gehörte der braunen Szene über 20 Jahre lang als Funktionärin in zahlreichen Gruppierungen an. Ende 2005 stieg sie aus. Sie bekam einen neuen Namen und lebt heute mit ihren Kindern an einem geheim gehaltenen Ort. Erfahrungen mit der HDJ sammelte sie, als zwei ihrer fünf Kinder an deren Lagern teilnahmen. Viele der HDJ -Fürsorger kannte
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