Neonazis in Nadelstreifen
flattert uns voran. In die Zukunft ziehen wir Mann für Mann. Wir marschieren für Deutschland durch Nacht und durch Not. Mit der Fahne der Jugend für Freiheit und Brot […] Deutschland! Wir gehören dir.« Im Original stammt dieser Text vom ehemaligen Reichsjugendführer Baldur von Schirach, der diese einstige Hymne der Hitlerjugend für den Propagandafilm »Hitlerjunge Quex« 1933 verfasst hatte. Da marschierte »die Jugend« indes für Hitler, nicht für Deutschland, und bekannte: »Führer! Wir gehören dir!«
»Nationale Barden«, wie Protagonisten der extremen Rechten ihre Liedermacher gern nennen, sind ein fleischgewordener Anachronismus. Ihr Erscheinungsbild ist zumeist ordentlich und adrett, auf Sekundärtugenden wird viel Wert gelegt. Der bekannteste Protagonist dieses Genres ist Frank Rennicke. Geboren 1964 in Braunschweig, wurde er als Jugendlicher Mitglied der Wiking-Jugend. 1987 veröffentlichte er im Selbstverlag die Musikkassette »Protestnoten für Deutschland«. Mit sorgfältig gezogenem Seitenscheitel, Hemd und gebügelter Stoffhose gab er in den 90 er Jahre ein deutliches Gegenbild zu der von Skinheads mit Bomberjacken und Springerstiefeln dominierten extrem rechten Musikszene ab und ging gezielt auf Konfrontationskurs: »Auch wenn ich mir […] Feinde mache […]: Ob Skin oder Hooligan, beides sind Modeerscheinungen, die aus England gekommen sind. Ich habe manchmal meine Schwierigkeiten, bei etlichen Vertretern dieser Gruppen ein Deutschtum zu entdecken«, postulierte Rennicke 1992 in dem neonazistischen Skinhead-Magazin »Frontal«. Bei den so Gescholtenen galt er deshalb teilweise lange als Spießer. »Was an mir ›spießig‹ sein soll, sollte man mir mal sagen. Natürlich bin ich kein Saufkumpel, halte mich mit Kraftausdrücken zurück, trage weder amerikanische Bomberjacke noch Domestos-Levis-Jeans und werde auch künftig versuchen, das preußische Wort ›mehr sein als scheinen‹ zu beachten«, hob Rennicke sechs Jahre später im Gespräch mit dem neonazistischen Magazin »Der weiße Wolf« hervor und betonte: »Weil man auch mit vierunddreißig Jahren noch kurze Hosen trägt (hatte auch die Wehrmacht), sich um die Familie sorgt (Brutpflege ist in der Natur das Wichtigste zum Erhalt der eigenen Art) und eher ruhige Töne liebt, ist man doch nicht ›spießig‹!« Aber, so schob er nach, er werde es sich nicht nehmen lassen, offen zu sein für alle, vom Skinhead bis zum Burschenschafter, vom »Jungnationalen« bis zum »Altrechten«, und fragte: Ob »diese Offenheit auch die ›coolen Typen‹ haben«?
Heute ist Rennicke ein Star in der extremen Rechten. Seine Lieder, deren Texte oft geschickt die Klippen des Strafgesetzbuchs umschiffen, haben Kultstatus. Beim Pressefest der NPD -Zeitung »Deutsche Stimme« in Sachsen grölen junge wie alte Neonazis die Texte begeistert mit. Sie triefen teilweise vor Pathos, wenn er den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zum »Friedensflieger«, Helden und Vorbild für die »deutsche Jugend« verklärt. Andere Songs, wie die »Parodie auf ein Tabu-Datum«, sind animierende Schunkellieder: »Jedes Jahr zur gleichen Zeit, wenn im Frühling die Blüte treibt, feier’ ich, wenn man mich noch lässt, jenes Adolfs Wiegenfest. Er war ’ne echte Persönlichkeit, wir bräuchten ihn heut’ in dieser Zeit. Drum sag ich’s mir und anderen dann, ein Hoch auf Adi, den Ehrenmann. (…) Immer wieder zum 20 .April, ob man sich freut oder ich es nur will, erinnern sich viele Leute in diesem Land an die goldenen Jahre seiner glücklichen Hand.« Erst gegen Ende des Songs widerspricht Rennicke der Intuition, das Lied sei ein Geburtstagsständchen für den am 20 . April 1889 geborenen Adolf Hitler: »Und ein Patriot mit feinem Nerv, das war ein Mann, der Dr. Adolf Schärf.« Sodann stellt ein Sprecher kurz die Vita des österreichischen Sozialdemokraten vor, der von 1957 bis zu seinem Tod 1965 Bundespräsident gewesen war. »Und dieser gute Mann wurde geboren am 20 . April. Wen soll man denn sonst an diesem Tag feiern?«, fragt Rennicke am Ende des Songs scheinheilig.
Auf keinem der größeren NPD -Festivitäten fehlt der bekennende Parteifreund, oft tritt er in deren kulturellem Begleitprogramm auf. Aber nicht nur dort. Mehr als 350 Konzerte hat Rennicke in den letzten 20 Jahren gegeben, 2005 spielte er in Moskau und Petersburg und 2007 beim extrem rechten »Nordiska Festival« in Schweden. Die skandinavischen Neonazis sind mit seinem Liedgut längst vertraut –
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