Neongrüne Angst (German Edition)
ihr nicht ausspanne. Ich fand den Typen nämlich auch ganz interessant.«
»Ich denk, du hast ihn nie gesehen?«
»Hab ich auch nicht. Aber was sie mir über ihn erzählt hat, gefiel mir. Er hat sie sogar eingeladen, mit ihm Ferien zu machen. Na ja, so richtige Ferien sollten es wohl gar nicht werden. Er wollte sie wahrscheinlich nur aus der Schusslinie nehmen. Sie sollte mal richtig durchatmen, statt immer nur auf den nächsten Anruf von diesem Vollhorst zu warten.«
»Und? Ist sie mit ihm in Urlaub gefahren?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Wohin wollten sie?«
»Ich glaube, seine Eltern hatten ein Ferienhaus an der Küste. In Nordfriesland oder in Ostfriesland oder – ach, ich weiß nicht. Vielleicht auch auf einer der Inseln.«
Leon schlug mit beiden Händen gegen das Lenkrad. Dann ließ er sie von dort abfedern gegen seine Stirn.
Tanja sah ihn an.
»Pit!«, sagte Leon. »Wieso bin ich nicht früher drauf gekommen? Natürlich! Pit! Deshalb geht er nicht ans Handy. Er ist mit ihr zusammen!«
»Du meinst, Pit ist auch Bonnies Beschützer gewesen?«
»Beschützer, Verehrer, Flüsterer – wie immer sich die Sau genannt hat. Ich glaube, es handelt sich um ein und dieselbe Person.«
Tanja fand die Idee so verrückt, dass sie wieder aussteigen wollte. »Also, ich muss zur Arbeit.«
Aber Leon hielt sie fest und drückte sie in den Sitz zurück. »Pits Eltern hatten ein Ferienhaus in Ostfriesland. Ich weiß es ganz genau. Wir waren zehn, elf Jahre alt. Unsere Familie fuhr nach Spanien. Wir haben Urlaub in Andalusien gemacht. Damals lebte meine Mutter noch. Es war ein wundervoller Urlaub. Wir sind mit unserem alten Ford gefahren. Meine Eltern hatten mir erlaubt, einen Freund mitzunehmen. Wahrscheinlich wollten sie nur, dass ich ihnen nicht dauernd auf der Pelle hänge, sondern mich alleine beschäftige. Pit und ich kannten uns damals aus dem Schachclub der Edith-Stein-Schule. Ich hab ihn gefragt. Er wollte auch mit. Wir stellten uns das ganz prima vor, hinten im Auto zu sitzen und ein Schachturnier nach dem anderen zu spielen. Er träumte damals davon, Schachprofi zu werden.«
»Ja«, sagte Tanja angenervt, »das klingt ja alles wirklich total spannend, aber ich muss jetzt zur Arbeit.«
»Nun warte doch mal! Seine Eltern haben ihm damals nicht erlaubt mitzufahren. Er musste mit ihnen nach Ostfriesland. Das weiß ich noch genau. Ich dachte nämlich zunächst, Ostfriesland würde irgendwo in Ostdeutschland liegen. Statt mit mir Schach zu spielen, sollte er mit seinem Vater den Vorgarten machen oder den Dachboden ausbauen, das weiß ich nicht mehr. Jedenfalls haben die ja jede Menge selbst gemacht am Haus. Wir haben dann wahrscheinlich in Andalusien die einzige wirkliche Regenzeit erwischt, die die jemals da an einem Stück hatten, während in Ostfriesland wochenlang nur die Sonne schien. Ich kam bleich zurück und angepisst von den Streitereien meiner Eltern, aber er war knallbraun.«
»Gut. Meinetwegen. Wahrscheinlich haben viele Leute, die meine Schwester kannte, eine Ferienwohnung irgendwo.«
»Ja. Aber nicht alle in Ostfriesland, und es sind auch nicht alle mit Johanna von der Fete abgehauen. Ich habe viermal versucht, Pit zu erreichen. Er geht nicht ans Handy. Ich dachte schon, ich hätte die falsche Nummer, aber mir schwant was ganz anderes …«
Tanja klatschte die Hände dicht vor seinem Gesicht gegeneinander, so als würde sie versuchen, ihn aus einem Albtraum zu wecken. »Hey! Werd wach! Selbst wenn du recht hast, was bringt es? Glaubst du im Ernst, die sind zusammen nach Ostfriesland gefahren? Und wenn es so wäre, wo willst du sie da suchen? Die Küste ist lang.«
Für einen Moment schien Leon ganz in sich zu versinken, als hätte sie ihn mit ihrem Händeklatschen ausgeschaltet. Er schloss sogar die Augen. Als er sie wieder öffnete, kam sein Blick ihr klarer vor.
»Hast du jetzt das Shining, oder was?«
»Er hat damals sogar einen Aufsatz geschrieben und im Unterricht vorgelesen. Es war in Erdkunde. Es ging übers Wattenmeer. Er hat die Gezeiten erklärt und dafür eine Supernote gekriegt. Ich weiß nicht, wie das Kaff heißt, in dem sie die Ferienwohnung haben, aber er sprach mehrfach von der ältesten ostfriesischen Stadt. Die müssen einen Riesenmarktplatz haben. Und eine legendäre Disco. Mega oder Meta oder so. Jedenfalls direkt am Deich … Und eine berühmte Orgel. Ja, verdammt, wie hieß die noch?«
Tanja zog ihr iPhone aus der Tasche und gab bei Google Ȋlteste ostfriesische
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