Neongrüne Angst (German Edition)
Erinnerung, als du noch ein kleines Mädchen warst. Ich will dich wirklich.«
Er schüttelte sich, als würde er jetzt, indem er diese Worte aussprach, wieder ganz er selber werden, und beendete den Satz mit einem hingehauchten: »Ja, Johanna. Ich will dich wirklich. Du hast es richtig verstanden.«
Wie ein Käfer auf dem Rücken krabbelte Johanna vom Bett über den Fußboden. Als sie mit dem Rücken gegen den Schrank stieß, schob sie sich langsam daran hoch.
»Und wie stellst du dir das vor?«, fragte sie. »Willst du mir Ketten anlegen? Mich hier festbinden oder was?«
»Festere Ketten als die Liebe gibt es nicht.«
»Ich … ich liebe dich aber nicht.«
Er lächelte milde. »Nein. Du bist nur mit mir auf dem Motorrad von einer Party geflohen und versteckst dich mit mir in dieser Ferienwohnung. Du hast deine Freunde auf dem Handy gesperrt, damit sie dich nicht länger belästigen. Typen wie diesen Leon hast du loszuwerden versucht.«
»Du weißt genau, dass es anders war.«
Er schüttelte den Kopf. »Das Gehirn spielt dir einen Streich, Johanna. Im Laufe der Zeit wirst du lernen, mich zu lieben, so wie ein Kind lernt, seine Mutter zu lieben oder seinen Vater. Je nachdem, wer immer da ist und es nährt.«
»Sei ruhig! Du machst mir Angst!«
»Was ist denn daran so furchterregend, wenn dich jemand beschützen will, bei dir sein möchte, dich lieben will und versorgen? Die ganze Zivilisation ist so entstanden. Die Babys würden sterben, wenn sich niemand liebevoll um sie kümmerte …«
Endlich stand sie wieder auf den Beinen. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, ihn anzuspringen und niederzuringen.
»Ich bin kein kleines Baby. Siehst du das nicht?«
»Nein, du bist eine wunderschöne Frau. Ich verehre dich. Ich will dir ja nichts Böses tun. Ich will dich glücklich machen.«
»Wann hat das begonnen?«, fragte sie, weil sie das Gefühl hatte, Worte seien die letzte Schutzmauer für sie. Sie musste ihn in ein Gespräch verwickeln. Da gab es bestimmt auch etwas in ihm, das noch vernunftbetont war. Sie hoffte, diese Tür in seinem Inneren zu finden und dann mit den richtigen Worten anzuklopfen.
»Weißt du es denn nicht? Als du mir geholfen hast. Auf der Prager Straße, als Volker, dieser Steinzeitmensch auf mich losgegangen ist. Niemand hat mir geholfen. Nur du. Ich spüre immer noch deine zärtlichen Finger, wie du mir den Kopf gehalten hast. Ich dachte in diesen Sekunden, wenn ich jetzt sterben würde, war das Leben nicht umsonst. Ich wollte, dass es so bleibt.«
»Ich … ich habe dir doch nur …«
»Ja, du hast mir geholfen. Hast mich eingehüllt mit deiner Liebe wie in einen schützenden Kokon. Nicht mal Volker ist mehr hindurchgedrungen. Und der war total auf Tili. Der hätte mich totgetreten, wenn du nicht eingegriffen hättest.«
»Und jetzt nimmst du die Scheiße selber?«, fragte sie kritisch.
Er nickte. »Ich hab’s von ihm. Es tat ihm leid, dass er mich so fertiggemacht hatte. Zumindest hat er das behauptet. Wahrscheinlich hatte er nur Angst vor einer Anzeige. Er hat mich besucht, um mit mir darüber zu reden. Wir sollten das untereinander regeln, ohne Polizei. Und dann sah er die Ibuprofen-Zäpfchen, die sie mir gegen die Schmerzen gegeben hatten. Darüber konnte er nur lachen. Von ihm habe ich meine erste Tili-Dosis bekommen. Seitdem weiß ich, welche Kraft in mir steckt und dass mich nichts, gar nichts, aufhalten kann.«
In diesem Moment machte Johanna eine schwungvolle Drehung um hundertachtzig Grad, ballerte ihm dabei mit aller Kraft ihre Faust an den Kopf und sprang ins Wohnzimmer. Sie knallte die Schlafzimmertür hinter sich zu.
Pit machte merkwürdige Töne. Es war eine Mischung aus Lachen und Stöhnen.
»Das war nicht lieb von dir, Josy. Gar nicht lieb!«
Sie stemmte sich gegen die Tür und sah sich nach einem Gegenstand um, mit dem sie die Tür versperren konnte. Sie öffnete sich zu seiner Seite, und er setzte sein ganzes Körpergewicht ein, um sie aufzureißen.
Da Johanna keine Möglichkeit sah, irgendeinen Gegenstand zu greifen, und er offensichtlich stärker war als sie, ließ sie einfach los, so dass die Tür zunächst gegen seinen Kopf knallte und seine eigene Kraft ihn rückwärts gegen den Schrank schleuderte.
Johanna rannte die Treppe runter, und schon war sie bei der Haustür. Aber die Tür war verriegelt. Erst jetzt fiel ihr auf, dass die Tür mit einer Kette gesichert war, die sich nicht einfach lösen ließ, sondern für die man einen Schlüssel
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