Neongrüne Angst (German Edition)
brauchte.
Der Gedanke, in der Falle zu sitzen, huschte durch ihren Kopf und beschleunigte ihren Atem.
Sie floh unten in die Küche. Hier war alles klinisch sauber und aufgeräumt. Einfache Möbel aus den siebziger Jahren, weiße Hängeschränke, eine blitzsaubere Edelstahlspüle und daneben ein Messerblock. Sie griff sich das größte. Es war ein langes Brotmesser mit Zacken.
Pit humpelte langsam, aber sehr geräuschvoll, die Treppe hinunter.
»Ich mag es, wenn du so bist«, raunte er. »Ich liebe deine Wildheit. Ich hatte immer Angst, dass das Opfer in dir den Täter in mir zu Tode langweilt.«
Er bewegte sich wie in Zeitlupe auf sie zu. Sie brachte den Küchentisch zwischen sich und ihn und hielt das Messer mit beiden Händen. Sie fuchtelte damit in der Luft herum, um ihm zu zeigen, dass sie bereit war, ihn zu verletzen.
»Ich wusste«, sagte er, »dass du das auch kennst. Diese zwei Seiten. Du hast auch einen Engel in dir und einen Teufel. Ist es nicht so? Manchmal, wenn ich der Engel bin, dann werde ich herumgeschubst, verlacht und wenig beachtet. Aber der Teufel in mir, mit dem legt sich keiner gerne an. Er findet Engel öde. Er bricht ihnen gerne die Flügel. Er hat auch für meinen Engel nur Spott übrig.«
»Komm mir nicht zu nahe, Pit! Ich mache Ernst! Ich lasse mir das nicht gefallen. Ich …«
Er bewegte sich an der Küchenzeile entlang um den Tisch herum. Ein Stuhl fiel um, einen anderen schleuderte er durch die offene Tür in den Flur.
Sie bemühte sich, immer den gleichen Abstand zu ihm zu haben. Ihre Angst war, dass er den Tisch packen und zur Seite ziehen könnte. Sie hoffte, dass sie in dem Moment genügend Mut aufbringen würde, um ihm das Messer in den Arm zu rammen oder ihm die Klinge quer durchs Gesicht zu ziehen.
Du darfst keine Hemmungen haben zuzustechen, beschwor sie sich selbst. Wenn du dich jetzt nicht richtig wehrst und Rücksicht auf ihn nimmst, wird er dich restlos fertigmachen.
Aber er schob den Tisch nicht zur Seite, sondern wollte nur selbst zum Messerblock. Er griff hin und betrachtete einen Moment lang versunken, als hätte er nie etwas Schöneres gesehen, ein scharfes Fischmesser mit einer langen, dünnen Klinge.
Er klemmte sich die Klinge zwischen die Lippen, wie sie es nur aus Piratenfilmen kannte, und krempelte sich mit der rechten Hand den linken Ärmel auf. Dann nahm er das Messer aus dem Mund, sah Johanna lächelnd an und begann, sich mit der Klinge zu ritzen.
Das Messer, das eigentlich dazu da war, Fische zu filetieren und zu enthäuten, war so scharf, dass schon eine kleine Berührung mit der Haut ausreichte, und ein blutiges Rinnsal lief an seinem Unterarm entlang.
Johanna fragte sich, ob er völlig verrückt geworden war oder ob sie selbst gerade den Verstand verlor.
»Leg das Messer weg, Josy. Womit willst du mir drohen? Mit Schmerzen?« Er lachte und ritzte sich noch zweimal quer über den Unterarm. »Tili, sage ich nur.«
Er ballte die linke Faust und reckte sie hoch über seinen Kopf, so dass das Blut in sein Gesicht tropfte. Er riss den Mund weit auf und streckte die Zunge heraus.
»Ist das deine Masche?«, spottete sie. »Glaubst du, damit kann man Mädchen beeindrucken? Denkst du, wir stehen alle auf Typen, die Blut im Gesicht haben und sich mit einem Fischmesser in der Haut rumpulen?«
Der Ton ihrer Stimme gefiel ihm nicht. Er funkelte sie an. »Was würdest du denn vorschlagen?«, zischte er. »Eine Einladung in die Disco oder ins Kino? Was muss man tun, um dich rumzukriegen? Worauf fährst du ab, Josy?«
Jetzt rannte er um den Tisch, um sie zu kriegen, aber sie war genauso schnell wie er, und obwohl er zweimal mit einem Sprung die Richtung änderte, bekam er sie nicht zu fassen.
Er blieb lauernd stehen, den Oberkörper vornübergebeugt, den Kopf fast kurz über der Tischplatte.
»Warum hast du mich am Telefon manchmal Josy genannt? Oder jetzt? Hattest du mal eine Freundin, die so hieß und die dich hat abblitzen lassen?«
Er schlug das Fischmesser in den Tisch. Es blieb stecken und vibrierte.
»Nein, Frau Psychologin, damit hat es überhaupt nichts zu tun. Ich hatte auch keine Mutter, die so hieß, oder eine Tante. Ich habe dich so genannt, um den Verdacht auf Volker zu lenken. Er hat dich so genannt, als du mir geholfen hast. Es war ein großartiger Moment. Da war alles in dir präsent: der Engel, der mir helfen wollte, und doch auch eine Raubkatze, bereit, sich auf Volker zu stürzen … Mein Gott, habe ich dich da geliebt! Und er konnte
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