Neongrüne Angst (German Edition)
froh, als er endlich bei seinem Auto war. Im Fiat fühlte er sich wohl. Das Fahrzeug war wie eine Schutzhülle, die ihn umgab.
Am liebsten wäre er zu Johanna gefahren, doch er wusste, dass das so nicht lief. Er konnte nicht einfach bei ihr durchs Fenster einsteigen und sich zu ihr ins Bett legen. Sie war noch nicht volljährig und stand ganz schön unter der Fuchtel ihrer Mutter. Und auch ihren Bruder, Ben, konnte Leon nicht mehr wirklich als Freund bezeichnen.
Nichts, aber auch gar nichts zog ihn zurück nach Ganderkesee in die Wohnung von Trudi Warkentin.
Vielleicht, dachte er, kann ich das Auto abstellen und dann noch einen Drink nehmen. Mit ein bisschen Glück hat die Bodega noch offen, und ich kann draußen sitzen und da was trinken. Und wenn nicht, gibt’s vielleicht im Flames noch einen Absacker. Ihm war alles recht, um erst nach Hause zu kommen, wenn Trudi und sein Vater schon schliefen.
Aber er hatte Pech. Er brauchte von Bremerhaven bis Ganderkesee viel zu lange, auf der B 213 fuhr ein Schwertransporter mit Flügeln für eine Windkraftanlage, begleitet von der Polizei, und an dem kam er nicht vorbei. Als er in Ganderkesee ankam, hatten alle schon zu. Weder in der Bodega noch im Oldenburger Hof oder im Flames war noch irgendetwas los.
Na, klasse. Die klappen die Bürgersteige hier einfach hoch, und ich steh da.
Trudi und sein Vater saßen noch vor dem Fernseher. Sie waren beide eingenickt. Auf dem Tisch ein voller Aschenbecher, ein paar leere Bierflaschen und eine zusammengeknüllte Zigarettenpackung neben einer aufgerissenen Chipstüte. Die Chips interessierten Leon durchaus, aber er befürchtete, bei dem Versuch, die Tüte anzuheben, könnte es knistern und einer der beiden würde wach werden. Darauf hatte er nun wirklich keine Lust.
Im Fernsehen feuerte jemand gerade mit einer überdimensional großen Maschinenpistole auf ein fahrendes Auto, traf aber die Insassen nicht, die zurückschossen. Trotz des Lärms wollte Leon nichts riskieren. Das Geräusch einer Chipstüte war ganz anders als das Geknalle im Film. Er grinste bei dem Gedanken, dass es eben viel realistischer war.
Er ging in sein Zimmer und legte sich angezogen aufs Bett. Es war nicht seine Art, so zu schlafen, doch er wollte wachsam sein. Jederzeit startklar.
Er schaltete auch sein Handy nicht aus, sondern legte es neben sich. Bevor er das Licht ausmachte, schrieb er noch eine SMS an Johanna.
Ich liebe dich, und ich halte zu dir. Wir stehen das durch. Leon.
Dann verschränkte er die Arme hinterm Kopf. Er glaubte, ganz sicher nicht schlafen zu können. Das war ein Irrtum.
8
Johanna wurde von Alarmsirenen geweckt. Zunächst wusste sie nicht einmal, ob sie geträumt hatte oder nicht. Das Blaulicht schien in ihrem Zimmer zu kreisen. Da waren Krankenwagen unterwegs und Polizeiautos. Das Tatütata versetzte sie noch im Halbschlaf in einen Panikzustand. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Hatte er wieder etwas angestellt?, fragte sie sich und wehrte sich gleichzeitig gegen diesen irren Gedanken.
Die Einsatzfahrzeuge rasten weiter.
Johanna versuchte, ihre Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Ihr war schwindelig.
Sie stand neben ihrem Bett und wollte sich wieder unter die schützende Decke flüchten, als das Telefon klingelte.
»Du hast mich sehr enttäuscht, Josy. Ich war ein böser Junge. Ein sehr böser Junge.«
Sie spie den Satz aus wie giftige Nahrung: »Warst du das etwa? Draußen sind Krankenwagen und …«
»Ja … Ich habe schlimme Sachen gemacht. Du darfst mich einfach nicht mehr so enttäuschen.«
Sie hielt sich am Buchregal fest. Ihre Knie wurden weich. »Aber um Himmels willen, ich war doch da! Ich bin gefahren! Ich …«
»Ja, das bist du wirklich. Aber nur einmal. Nicht fünfmal. Ich habe dir fünf Chips geschenkt. So etwas kannst du einfach nicht mit mir machen.«
»Ich habe Todesängste ausgestanden! Ich bin ohnmächtig geworden!«
»Wie ist das, wenn man fällt, Josy? Einfach so, immer tiefer ins Nichts?«
»Ich brauchte Hilfe. Ich dachte, ich sterbe!«
Plötzlich veränderte sich seine Stimme. Sie war nicht mehr so einschmeichelnd, sondern streng, scharf, militärisch. Er klang nicht mehr wie ein trotzig-trauriges Kind, sondern mehr wie ein General, der den Befehl zum Angriff gibt.
»Du hast dich meinen Anordnungen widersetzt. Ich habe gesagt, du sollst gleich bei der ersten Fahrt einsteigen. Um 18 Uhr. Wann bist du eingestiegen?«
Er beantwortete seine Frage gleich selber: »Um 18 Uhr 11.«
Jetzt wurde er
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