Neongrüne Angst (German Edition)
laufen«, da erinnerte er sich an einen Satz seiner Mutter: Jeder braucht im Leben eine zweite Chance.
»Ich will dich hier nie wieder in so einem Aufzug sehen. Ist das klar?«, sagte er in scharfem Befehlston.
Sie nickte, und ihre nassen Haare wippten.
»Danke«, stammelte sie, und es klang sehr ehrlich.
Sie zeigte auf ihre Beine. Sie trug eine Jeans, und er zeigte ihr den erhobenen Daumen. Er hatte das Gefühl, das Richtige getan zu haben, und ging zum Polizeiauto zurück. Er wollte sie nicht der Häme seines Kollegen aussetzen.
Einerseits war Johanna dem Polizisten unendlich dankbar, weil er sie laufenließ. Aber da war auch noch etwas anderes in ihr, das schrie: Verdammt nochmal, merkt denn keiner, in welcher Not ich bin?
Hilft mir denn keiner?
Warum nimmst du mich nicht einfach mit auf die Wache?
Warum gehst du nicht der Sache auf den Grund?
Warum bringst du mich nicht zum Sprechen?
Es ist auch verdammt einfach, mich mit guten Ermahnungen zu entlassen: »Ich will dich hier nie wieder in so einem Aufzug sehen. Ist das klar?«
Ja danke. Als würde ich das hier freiwillig tun.
Sie war wütend auf den Polizeibeamten, wo sie ihn gerade eben noch hätte umarmen können.
Sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Was sollte sie jetzt tun? Sie konnte schlecht zur Bürgermeister-Smidt-Straße zurück und in der Mitte spazieren gehen. Das Spiel war hiermit abgesagt, spätestens durch das Auftauchen der Polizisten war die Sache definitiv beendet. Es stellte sich nur die Frage, ob der Anrufer das genauso sah.
In dem Moment vibrierte ihr Handy. Sie zog es aus der Manteltasche. Unbekannte Nummer stand auf dem Display.
Sie ging einfach ran.
»Na, hat es wenigstens Spaß gemacht?«, fragte sie angriffslustig.
»Nein, überhaupt nicht. Du bist eine Spielverderberin, Josy.«
»Ich bin was?«, empörte sie sich. »Gerade hätte mich fast die Polizei mitgenommen, weil sie mich für eine Prostituierte hielten, die hier auf Freiersuche geht!«
»Warum reißt du auch in so einer Situation den Mantel auf?«
»Weil du mich angerufen hast, verdammt nochmal!«, fluchte sie.
»Oh nein, das habe ich nicht.«
Dann wurde seine Stimme wieder eiskalt, fast als würde eine Maschine sprechen. Emotionslos wie die Zeitansage.
»So macht es mir keinen Spaß. Dein Bruder weiß schon, warum er dich Spaßbremse nennt. Du sollst nicht auf jeden Deppen hören, der dich anruft, sondern nur auf mich. Ich hätte dich nie in so eine Lage gebracht. Ich steh nicht so auf Polizisten.«
Sie wollte die Anzeige für die letzten Anrufe anklicken. Das war ganz einfach und noch nie ein Problem für sie gewesen, doch ihre Finger zitterten so sehr, dass ihr das Handy sogar runterfiel, auf den nassen Boden. Zum Glück ging es nicht kaputt.
Sie hob es wieder auf, hielt es ans Ohr und fragte: »Hallo? Hallo? Bist du noch da? Mir ist das Handy runtergefallen.«
»Also, was hast du falsch gemacht, Josy?«
»Falsch gemacht? Was soll ich denn falsch gemacht haben?«
»Ach, du bist auch noch uneinsichtig? Willst du mich provozieren? Willst du, dass heute Nacht etwas Furchtbares geschieht? Ich bin kurz davor. Treib es nicht zu weit mit mir!«
Sie schaffte es. Sie hielt das Handy mit beiden Händen vor ihr Gesicht, so nah, dass ihre Nase fast das Display berührte. Jetzt sah sie, dass sie zwei Anrufe von Leon gehabt hatte und nur einen einzigen vom Unbekannten.
Ihre Wut auf Leon explodierte in der Mitte ihres Körpers. Eine Hitzewelle jagte von dort aus bis in ihre Füße und Fingerspitzen. Gleichzeitig registrierte ihr Verstand, dass sie auf Leon viel wütender war als auf den Anrufer.
»Wie lange soll ich noch warten? Was hast du falsch gemacht? Soll ich es dir sagen?«
Es klang wie eine Drohung, so als sei damit gleich wieder eine schlimme Strafe verbunden. Aber er ließ ihr keine Chance zu antworten, sondern zählte auf: »Also gut. Ganz, wie du willst. Du bist nicht in der Mitte der Straße gelaufen. Du warst gar nicht nackt unter deinem Mantel. Du hattest diese billige Unterwäsche an. Und du bist nicht meinen Wünschen gefolgt, sondern denen eines anderen.«
»Eines anderen? Leon hat mich angerufen. Ich konnte doch nicht wissen, dass er …«
»Streich ihn aus deinem Telefonbuch. Sperr seine Nummer für Anrufe. Ich will nicht, dass du noch mal mit ihm sprichst. Ich lass mir den Spaß nicht verderben.«
»Du verlangst doch nicht im Ernst von mir, dass ich …«
»Oh doch. Es ist eine ganz einfache Handyfunktion. Du sperrst seine Nummer. In
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