Neongrüne Angst (German Edition)
nichts!«
Er machte ihre Stimme übertrieben affektiert nach, so als sei sie eine Tunte: »Oh, tu dies nicht, tu das nicht! Mach nichts Böses! Verschon meinen Liebsten …«
Dann wechselte er den Ton, wurde scharf und aggressiv: »Wer tut denn hier die ganze Zeit nicht, worum ich bitte? Und ich soll jetzt all das machen, was du dir wünschst? Bist du wahnsinnig? Es wäre so einfach gewesen! Mein Gott, du hättest nur einmal für mich durch die Glasröhrenbrücke laufen müssen oder ein bisschen Achterbahn fahren! Andere zahlen viel Geld dafür. Du kriegst sogar die Chips geschenkt. Aber du bist ein undankbares Luder. Was hast du denn bisher für Freunde gehabt? Das waren doch nur irgendwelche Luschis, wie dieser Leon. Gut erzogene Traumschwiegersöhne! Langweilig bis in die Steinzeit. Mit mir erlebst du zum ersten Mal, wie das ist, gewollt zu werden. Wirklich gewollt! Mit allen Konsequenzen. Die anderen sind austauschbar, weil du für sie austauschbar bist. Aber ich, ich will dich, und ich werde dich bekommen. Du wirst mich noch drum anflehen, wenn du erkennst, wie einzigartig unsere Beziehung ist. Dankbar wirst du mir sein, weil ich dich auserkoren habe und keine andere.«
Sie hatte den Wind jetzt im Rücken und fühlte sich davongeschubst, ja weggeschoben. Manchmal, in anderen Situationen, als sie glücklicher war, da fühlte sie sich, ganz anders als jetzt, vom Rückenwind getragen.
Sie wusste nicht, woher sie den Mut nahm. Sie hörte sich selbst fragen: »Sollen wir uns nicht einfach treffen und über alles reden?«
»Und dann? Soll ich mir deine jämmerlichen Entschuldigungen anhören? Du bist noch lange nicht so weit, dass wir uns in die Augen schauen können. Dazu musst du erst all diesen Ballast loswerden und ganz frei werden für mich.«
»Welchen Ballast denn?« Es beschlich sie die Angst, er könne Leon meinen oder vielleicht ihre Mutter oder ihren Bruder. »Es tut mir leid, wenn ich versagt habe. Aber sei bitte nicht so streng. Es war schwierig. Ich dachte, die Anrufe kämen von dir. Und dann war da noch dieser Polizist und …«
Er seufzte, und sie war sich nicht sicher, ob er nur genervt klang oder ob darin auch ein bisschen Einsicht mitschwang. Ja, vielleicht sogar Resignation.
Sie hörte ein Blubbern, wie von einer Wasserpfeife.
»Josy, Josy«, sagte er. »Jetzt würdest du am liebsten alles noch einmal machen, stimmt’s? Du möchtest, dass ich dir eine zweite Chance gebe.«
Noch mal halte ich das nicht durch, dachte sie. Außerdem ist der Polizist immer noch da und würde mich sofort festnehmen. Ich möchte nicht gern von ihm nach Hause gebracht werden, und er erzählt meiner Mutter, was ich hier auf der Straße gemacht habe.
So unmöglich es ihr war, alles zu wiederholen, so keimte doch Hoffnung in ihr auf, dass es ihr gelungen war, ihn milde zu stimmen.
Er stöhnte. »Du beginnst mich zu langweilen. Wir sind doch hier nicht in der Schule. Oh, ich hab mein Hausaufgabenheft vergessen. Tut mir leid, darf ich es morgen mitbringen?«
Plötzlich wusste sie, mit wem sie sprach. Es wurde ihr glühend heiß klar.
Ihr brach sofort der Schweiß aus. Es war, als hätte sie eine giftige Flüssigkeit geschluckt.
Er sagte die ganze Zeit »Josy« zu ihr. Alle nannten sie Johanna. Einige Spaßvögel hatten früher mal »Jogi« zu ihr gesagt. Aber niemand, niemand nannte sie »Josy«, außer Volker Krüger.
Leon hatte also doch den richtigen verprügelt. Nur leider schien der sich nicht davon beeindrucken zu lassen.
Sie war erleichtert, dass sie nun wusste, mit wem sie es zu tun hatte. Aber sie wollte nicht gleich raus mit der Sprache. Sie hatte jetzt einen Vorsprung. Ein Wissen, von dem er keine Ahnung hatte. Es wäre zu billig gewesen, ihn einfach damit zu konfrontieren. Außerdem hatte er schon einmal bestritten, Volker zu sein.
»Du warst ein böses Mädchen, Josy. Und ich werde jemanden dafür bestrafen.«
Noch einmal wagte sie es, sich aufzulehnen: »Bitte tu es nicht. Was haben andere Menschen damit zu tun? Wenn du jemanden bestrafen willst, dann mich.«
»Aber Josy, das würde ich niemals tun. Ich verehre dich. Du bist die Einzige für mich. Warum sollte ich dir ein Leid antun?«
Das Gespräch brach ab. Jetzt hätte Johanna sich am liebsten die Kleider vom Leib gerissen und sich in den Regen gestellt, denn ihre Haut brannte, als wäre sie nackt durch ein Brennnesselfeld gelaufen.
31
Die Security-Leute brachten Leon, zum Paket verschnürt, ins Polizeipräsidium in der
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