Neongrüne Angst (German Edition)
er es mit mathematischer Logik.
Beim ersten Mal hatte der Verehrer sie nachts zur Glasröhrenbrücke beordert und beim zweiten Mal zum Freimarkt.
Was hatten diese beiden Orte gemeinsam?
Die Achterbahn auf dem Freimarkt und die Havenbrücke?
Beides war hoch oben in der Luft. Beides hatte etwas mit Volksbelustigung zu tun. Waren nicht auch an dem fraglichen Abend die Geschäfte zum Candlelight-Shopping geöffnet gewesen? Am Klimahaus und im Mediterraneo hatten Bands gespielt. Alles hatte etwas mit Spaß, Freude, vielen Menschen und einer bestimmten Höhe zu tun. Konnte er daraus folgern, wohin der Anrufer Johanna jetzt gerufen hatte?
Leon hielt auf dem Parkplatz an der Columbusstraße an und ging rüber zur Schleusenbrücke. Für einen Augenblick dachte er darüber nach, ob sie sich vielleicht auf dem Weg zum Simon-Loschen-Leuchtturm befinden könnte. Leuchttürme waren vielleicht in der Logik ihres Verehrers verwandt mit dem Looping einer Achterbahn oder einer gläsernen Brücke.
Bevor er einfach ausstieg, um ihren Namen in die Nacht zu brüllen, wählte er noch einmal ihr Handy an. Vielleicht, dachte er, geht sie ja diesmal ran, und ich kann sie davon überzeugen, das nicht zu tun, was sie gerade tun will.
26
Als ihr Handy diesmal vibrierte, befand Johanna sich mitten auf dem Theodor-Heuss-Platz. Sie konnte die Plakate des Spielplans sehen, aber nicht den Polizeiwagen, der in der Fährstraße parkte.
Trotz des Theaters fühlte sie sich relativ unbeobachtet. Hier standen um diese Uhrzeit keine Menschengruppen herum, und plötzlich spürte sie wieder festeren Boden unter den Füßen.
Jetzt war sie ihm ganz nah. Wenn er sie sehen wollte, konnte er sich nur im Theatergebäude befinden oder darauf. Höchstens noch in einem der Häuser nebenan. Aber das fand sie unwahrscheinlich.
Die Hoffnung, ihn endlich zu sehen und dadurch vielleicht die Gefahr bannen zu können, keimte in ihr auf. Sie riss den Mantel auseinander und eine Stimme in ihr brüllte: Na dann schau genau hin, du kranker Idiot, du!
Was siehst du hier schon? Eine Frau in Unterwäsche. Na und?
Jede Illustrierte ist voll davon. Das Werbefernsehen ist spannender.
Na, guck schon und zeig dich! Wo bist du?
Sie sagte kein Wort. Sie biss die Lippen fest zusammen. Doch solche inneren Schreie halfen ihr, mit der Lage fertig zu werden und nicht völlig zu versinken.
Dann hörte sie eine Autotür zuschlagen. War er das? Würde er ihr gleich gegenüberstehen? Wer gab ihm die Gewissheit, dass sie kein Messer aus der Manteltasche zog, um ihn niederzustechen?
Der Mann, der jetzt auf sie zukam, war zweiundvierzig Jahre alt. Er hatte Dachdecker gelernt und nach bestandener Gesellenprüfung war er in Stuhr beim Bau eines Einfamilienhauses vom Dachstuhl gefallen und hatte sich das rechte Bein und vier Rippen gebrochen. Die Knochen heilten schnell wieder. Seine Seele nicht. Nie wieder wollte er auf einem Dach herumklettern.
Er schulte um und wurde zu einem pflichtbewussten Polizisten. Er wusste genau, warum er diesen Job machte: weil er nie wieder auf einem Dach herumkraxeln wollte.
So, wie er an seiner Uniform herumzupfte, musste es ihm sehr wichtig sein, einen völlig korrekt angezogenen Eindruck zu machen.
Johanna ahnte gleich, dass er es tat, um sich von ihr abzugrenzen. Ganz im Gegensatz zu ihrer Kleidung sollte an seiner kein Knopf offen sein.
Wieder presste sie die Einkaufstüte wie ein Baby gegen ihren Körper. Sie schaukelte es sogar hin und her.
Er blieb zwei Meter entfernt vor ihr stehen und deutete mit dem Zeigefinger auf sie.
»So, meine Süße, jetzt hätte ich gerne deinen Ausweis gesehen.«
»Warum?«, fragte sie unsicher zurück.
Er lächelte. »Na, was glaubst du wohl? Weil du einen Preis in der Lotterie gewonnen hast? Vierzehn Tage Miami und anschließend ein Vorsprechen in den Warner Studios in Hollywood?«
Sie sah sich nach links und rechts um. Was bedeutete das Erscheinen von diesem Polizeibeamten für den Verehrer? Würde der Gesetzeshüter bald in einem blauen Müllsack stecken?
Weil sie nichts mehr sagte und auch keine Anstalten machte, ihren Ausweis zu zeigen, wurde sein Ton schärfer.
»Nun, dann nennen wir es mal eine Personenkontrolle. Ich möchte deine Personalien feststellen. Ich habe nämlich den dringenden Verdacht, dass du minderjährig bist und hier anschaffen gehst. Stimmt’s, Kleine?«
Seine Aussage war so ungeheuerlich, dass ihr im ersten Moment nicht mal eine Antwort einfiel. Dann fauchte sie ihn an: »Anschaffen
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