Neongrüne Angst (German Edition)
verdammt, habe ich! Meinetwegen! Aber ich bin doch nicht schuld an der ganzen Sache! Ich …«
»Wer auffährt, ist schuld«, konterte sie.
Das ließ der mit den braunen Augen nicht auf sich sitzen, denn es traf ihn ja genauso wie den alkoholisierten VW-Fahrer. Der zeigte jetzt auf Johanna. »Schuld ist, wer einfach sinnlos auf die Straße springt, ohne nach rechts und links zu gucken!«
Johanna machte sich von Leon los und ging zu ihrer Umhängetasche. Er half ihr dabei, die Bücher aufzusammeln.
Als Johanna sich bückte, wurde ihr schwindlig. Langsam richtete sie sich auf. Sie glaubte, Leon hinter sich zu spüren, doch es war der Opelfahrer mit dem militärischen Haarschnitt.
»Wo willst du hin?«, wollte er aggressiv wissen.
»Zur Schule.«
»Und wieso springst du einfach so auf die Straße?«
Johanna hoffte, mit der Wahrheit einfach am besten weiterzukommen, und sagte: »Ich … ich war in Gedanken.«
Er schüttelte den Kopf und spottete: »So was wie dich sortiert die Evolution normalerweise kurz nach der Geburt aus.«
Sofort fühlte Leon sich veranlasst, Johanna zu verteidigen. »Hey, hey, hey, so reden Sie nicht mit ihr, ist das klar? Ihr IQ ist vermutlich doppelt so hoch wie Ihrer!«
»Was weißt du denn über meinen IQ, Jüngelchen?«
»Wer so eine bescheuerte Frisur hat, kann einen IQ kaum über achtzig haben!«
Kurz bevor die beiden aufeinander losgingen, funkelte Johanna Leon an. »Hör auf mit dieser Macho-Scheiße! Als ob wir nicht schon Ärger genug am Hals hätten!«
Ein Motorrad knatterte heran. Pit Seidel.
»Kann ich dich irgendwohin mitnehmen?«, fragte er.
Wortlos stieg Johanna auf.
»Hey, Moment mal! Das ist doch jetzt nicht dein Ernst! Du willst doch hier nicht abhauen! Du bleibst hier, Perle!«, schrie der mit dem Kurzhaarschnitt.
»Wenn du noch einmal Perle zu ihr sagst, frühstückst du aus der Schnabeltasse, Hackfresse!«
Pit fuhr an den drei ineinander verkeilten Fahrzeugen vorbei, Johanna saß hintendrauf. Die Tasche wippte im Rhythmus des Straßenpflasters.
»Du gibst uns jetzt die Adresse!«, forderte Braunauge. »Du kennst sie. Ist die aus irgendeiner Anstalt weggelaufen? Hast du gesehen, was die für Klamotten anhatte? So was trägt doch kein Mensch bei dem Wetter!«
»Die ist abgehauen! Ich glaub’s nicht!«, stöhnte die junge Mutter.
Da gab Leon ihr recht. »Ich auch nicht.«
40
Johanna hielt sich an Pit Seidel fest. Sie drückte ihr Gesicht gegen seinen Rücken, und ihre Haare flatterten im Fahrtwind. Sie wusste, dass ihre Flucht jetzt falsch war. Sie schämte sich dafür, und doch war sie glücklich, diesen Ort verlassen zu haben.
Sie würde zu all dem stehen und, wenn es eine juristische Schuld gab, die auch auf sich nehmen. Aber nicht jetzt. Nach der Nacht und dem Morgen war das alles zu viel. So einen Streit konnte sie im Moment gar nicht gebrauchen.
Sie fühlte sich wie ein kleines, schutzloses Wesen, eine Schnecke ohne Haus, eine Maus ohne Loch, ein Igel ohne Stacheln.
Kurz vor der Edith-Stein-Schule hielt Pit an und nahm seinen Helm ab. Er hatte den Kopf immer noch verbunden und mit Pflaster verklebt, aber er lächelte bereits wieder. Offensichtlich kam er sich heldenhaft vor, weil er Johanna aus der schwierigen Situation erlöst hatte.
»Ich dachte«, sagte sie, »du seist noch im Krankenhaus. Ich wollte dich eigentlich besuchen, aber …«
Er winkte ab. »Alles halb so wild. Ich bin schon gestern entlassen worden. Die waren froh, mich los zu sein, haben zu wenig Betten oder so. Außerdem hab ich es da nicht mehr ausgehalten. Weißt du, im Krankenhaus gibt es ein Problem: Da sind fast nur Kranke.«
Sie mochte seinen Humor, konnte jetzt aber nicht wirklich über den Witz lachen. Zu sehr saß ihr der Schrecken noch in den Gliedern.
»«Ich bin eigentlich auf dem Weg zum Lotte-Lemke-Haus. Ich besuche meine Mutter regelmäßig. Die ist zwar dement, aber sie kriegt mehr mit, als man denkt. Aber wenn du nicht zum Unterricht musst, könnten wir ein bisschen zusammen rumfahren, irgendwo ’n Kaffee trinken, spazieren gehen und …«
Sie schüttelte kaum merklich den Kopf und sah dabei nach unten. »Du, liebend gerne, wirklich. Ich wüsste nicht, was jetzt besser wäre. Aber ich glaube, ich hab schon genug Mist angestellt. Ich sollte nicht auch noch die Schule schwänzen.«
Dann seufzte sie und stellte sich auf Zehenspitzen, um seine Kopfverletzung genauer betrachten zu können. Er beugte sich ein bisschen vor.
»Hast du gesehen, wer es
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