Neongrüne Angst (German Edition)
hätte man nicht sagen können, ob sie ein Junge oder ein Mädchen war. Und genau das wollte sie jetzt auch: alle Weiblichkeit verbergen.
Vor der Tür sah sie Leon in seinem Fiat. Sie wusste sofort, dass er die ganze Nacht hier auf sie gewartet hatte.
Einerseits wollte sie hinrennen, ihn umarmen und ihm alles erzählen. Andererseits hatte sie nur Angst, dabei von dem Verehrer beobachtet zu werden.
Wenn ich jetzt zu Leon ins Auto steige, dachte sie, dann ist das noch schlimmer, als wenn ich mit ihm telefoniere. Er wird ihn umbringen.
Deswegen rannte sie einfach los.
Leon sprang aus dem Auto und rief hinter ihr her: »Johanna! Johanna!«
Doch sie rannte.
Er nahm die Verfolgung auf.
»Bleib doch stehen! Spinnst du? Was ist denn los mit dir? Verdammt, was hab ich denn getan? Johanna! Bleib doch stehen!«
Johanna wollte die Straße überqueren, um zum Bus zu kommen. Später konnte sie nicht mehr sagen, ob sie vergessen hatte, nach rechts zu schauen, oder ob ihr eins der flatternden Tücher nur die Sicht genommen hatte. Jedenfalls quietschten Autoreifen.
Leon kreischte hinter ihr vor Angst. Er sah sich schon, wie er die schwerverletze Johanna aus dem Krankenhaus abholte. Er schob einen Rollstuhl. Ihr Gesicht war entstellt.
Doch die Schreckensbilder wurden keine Wirklichkeit, sondern Johanna rollte nur über die Straße und schlug sich das rechte Knie auf. Ihre Umhängetasche flog im hohen Bogen durch die Luft.
Die Fahrerin des roten Audi war ein geistesgegenwärtiger Mensch. Seit sie Kinder hatte, die zur Schule gingen, fuhr sie in der Stadt nie schneller als erlaubt und achtete bei jedem geparkten Auto darauf, ob plötzlich ein Kind hinter dem Heck auftauchen könnte.
Der Opelfahrer hinter ihr rechnete nicht mit so einem plötzlichen Bremsmanöver, war geistig von den Jahresbilanzen abgelenkt und von der Wut auf seinen Bruder, der zum dritten Mal mit einem Gastronomiebetrieb pleiteging. Er krachte voll in den roten Audi.
Ihm fuhr dann noch ein VW hinten rein.
Niemand kümmerte sich um Johanna, sondern die junge Mutter stieg aus und verlangte sofort die Versicherungsnummer des Opelfahrers. Als ihre Blicke sich trafen, wusste sie, dass sie sich unter anderen Umständen sofort in ihn verliebt hätte. Er entsprach ihrem Traum von einem Mann.
Er war groß, sportlich, hatte nussbraune Augen und einen militärisch exakten Haarschnitt. Dazu einen Dreitagebart.
Aber er war ganz auf Krawall gebürstet, glaubte, reingelegt worden zu sein, und schimpfte: »Machen Sie das immer so mit Ihrer Schrottkarre? Plötzlich bremsen, damit einer auffährt und Sie dann ein neues Auto bekommen?«
»Ich habe nicht grundlos gebremst! Die junge Frau ist mir vors Auto gelaufen!«
Dem dritten Fahrer war die Sache äußerst unangenehm, er hatte die Nacht auf einer Party verbracht und bis in den frühen Morgen durchgesumpft. Das letzte Glas Wein war erst wenige Stunden her, und der letzte Joint ebenfalls. Er fürchtete, noch zu viel Restalkohol im Blut zu haben, um in Ruhe mit der Polizei reden zu können.
Er versuchte, zwischen den beiden Streithähnen zu vermitteln, und fragte, ob man das Ganze nicht ohne Polizei friedlich regeln könne.
Aber die junge Mutter befand sich mitten in der Scheidung. Sie wusste, dass sie bald alleinerziehend sein würde, und war auf Männer gar nicht gut zu sprechen. Sie würde sich von denen hier auf keinen Fall übervorteilen lassen.
Leon war bei Johanna und half ihr aufzustehen. Er sah sich ihre Wunde am Knie an, und sie betrachtete ihre aufgeschürften Handflächen.
»Alles halb so wild«, sagte sie. »Mir ist nichts passiert.«
»Du siehst aus, als ob du zum Skikurs wolltest, und heute werden es dreißig Grad. Was ist los mit dir, Johanna? Warum rennst du vor mir weg, verdammt? Wenn du einen anderen hast, dann sag es mir geradeheraus.«
Mittlerweile hatten sich die drei darauf geeinigt, dass Johanna an allem schuld sei, und der mit den braunen Augen rief zu ihr rüber: »Hoffentlich bist du gut versichert, Mädchen! Das wird nämlich teuer. Ich ruf jetzt die Polizei!«
»Nein, bitte nicht, das ist doch wirklich nicht nötig«, beschwor ihn der VW-Fahrer.
»Warum nicht? Bei so was muss man die Polizei rufen.«
»Nein, bitte, nicht, ich hab’s verflucht eilig, ich komme sonst zu spät und bekomme irre Schwierigkeiten …«
»Wir haben schon Schwierigkeiten«, fluchte der VW-Fahrer.
Die junge Mutter sagte es ganz deutlich: »Sie haben eine Fahne, die rieche ich bis hierhin.«
»Ja,
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