Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
hin und schlaf jetzt. Ich schau ein Weilchen später noch mal rein«, sagte ich.
Aber er war schon nicht mehr bei unserer Unterhaltung. AufZehenspitzen verließ ich den Raum, empfand das Gefühl von Schuld und gleichzeitig Erleichterung, das einen immer dann befällt, wenn man vom Krankenbett eines Menschen kommt, der uns an unsere eigene Sterblichkeit erinnert.
Die beiden uniformierten Beamten vor der Tür nickten mir zu. Am Ende des Flurs sah ich Captain Guidry mit einem in grünes Papier und Silberfolie gewickelten Geranientopf auf mich zukommen. Die Implantate auf seinem Schädel waren gewachsen, und sein Kopf sah jetzt aus, als habe ihm jemand eine schlecht gemachte Perücke aufgeklebt.
»Ich geb das hier im Schwesternzimmer ab«, sagte er. »Wie geht’s ihm?«
»Er ist ein tapferer kleiner Bruder.«
»Sie sehen aus wie die Hölle. Gehn Sie nach Hause und legen Sie sich ein bißchen auf’s Ohr.«
»Ich hab die Nacht hier auf der Couch verbracht und ganz gut geschlafen. Alles, was ich brauche, ist eine Dusche und ein paar frische Sachen zum Anziehen.«
Captain Guidrys Blick war durchdringend. »Was hat er Ihnen erzählt?«
»Gar nichts.«
»Machen Sie mir nichts vor, Dave.«
»Er hat überhaupt nichts gesagt.«
»Ich arbeite schon sehr lange mit Ihnen zusammen. Sie können sich nicht gut verstellen.«
»Fragen Sie doch die Schwester. Er kann noch nicht wieder sprechen. Ich bin nicht mal sicher, ob er weiß, wie er hierhergekommen ist.«
»Hören Sie, ich glaube, Sie sind auf dem besten Wege, wieder aus diesem Schlamassel rauszukommen, in dem Sie gesteckt haben. Also verderben Sie es jetzt nicht dadurch, daß Sie unsere Ermittlungen behindern.«
»Krieg ich meine Dienstmarke zurück?«
Er kniff die Lippen zusammen und schaute den Korridor hinunter.
»Sie hätten Baxter nicht schlagen sollen«, sagte er.
»Also bleibt alles beim alten.«
»Wir machen einen Schritt nach dem andern. Haben Sie dochein wenig Geduld. Sie sollten anderen Menschen ein bißchen mehr Vertrauen entgegenbringen.«
»Ich bin auf freiem Fuß gegen eine Kaution von zehntausend Dollar. Und ich werde vor Gericht kommen, wenn es mir nicht bald gelingt, die Anklage auf ein leichtes Vergehen runterzuhandeln.«
»Sie sind ein belesener Mann. Sie kennen doch die Geschichte vom heiligen Johannes und der langen, dunklen Nacht der Seele. Nehmen wir an, dies ist Ihre dunkle Nacht. Warum sollten Sie sie unnötig verlängern?«
In meinem Hausboot nahm ich mein halbautomatisches Remington-Jagdgewehr vom Kaliber .12 aus seinem mit Schafsfell ausgeschlagenen Futteral. Das blaue Metall des Laufs glänzte durch die dünne Schicht Öl, mit der ich es sorgfältig eingerieben hatte. Mein Vater hatte mir das Remington geschenkt, als ich aufs College nach Lafayette ging, und seit damals war ich fast jedes Jahr mit der Waffe auf Stockenten und Gänse gegangen, von Cypremont Point bis hinunter nach Whiskey Bay. Ich strich mit den Fingern über den polierten, mit Einlegearbeiten verzierten Kolben, dann wickelte ich einen alten Lappen um den Lauf und spannte ihn in den Schraubstock, den ich am einen Ende der Spüle in der Küche befestigt hatte. Mit dem Bleistift markierte ich eine Stelle etwa zehn Zentimeter vor dem Schloß und sägte dann den Lauf mit einer Eisensäge ab. Das abgeschnittene Ende fiel mit einem dumpfen Geräusch auf den Fußboden. Ich hob es auf und wollte es gerade in den Mülleimer werfen, aber dann überlegte ich es mir anders. Ich zog ein langes Ende Weihnachtsgirlanden durch den Lauf und hängte ihn an der Wand über den Resten meiner Sammlung von historischen Jazz-Aufnahmen auf.
Dann setzte ich mich an den Küchentisch und schmirgelte die abgesägten Kanten mit Schleifpapier glatt und entfernte die Sportsperre aus dem Magazin, so daß die Waffe jetzt fünf Patronen statt drei aufnehmen konnte. Ich ging zum Wandschrank und nahm den Seesack mit den Lockenten, meine alte Feldjacke aus der Army und die Weste heraus, die ich aus Restbeständen der Army gekauft hatte und immer trug, wenn es für eine Jackezu warm war. Ich kippte alles auf den Tisch und baute meinen gesamten Patronenvorrat in einer Reihe vor mir auf wie Spielzeugsoldaten. Dann wählte ich die passende Munition aus – Rehposten, Größe 00 – und schob die Patronen eine nach der anderen mit dem Daumen in das Magazin, bis die Feder straff war, klappte den Verschluß zu und legte den Sicherungsbügel um.
Während ich damit beschäftigt war, gingen mir Bilder durch
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