Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
den Kopf, mit denen ich mich lieber nicht beschäftigen wollte. Ich blickte aus dem Fenster und sah einen Mann, der ein rohes Steak auf einem Holzkohlengrill wendete, ich sah zwei Jungen, die Werfen und Fangen spielten und sich mit verschwitzten und verkniffenen Gesichtern gegenseitig fertigzumachen suchten, und ich sah einen mit Wachs polierten roten Wagen, der neben einer Sanddüne in der mörderischen, weißglühenden Sonne stand.
Annie ging jeden Tag zum Lunch in ein kleines Delikatessengeschäft an der Ecke Canal und Exchange Street, nicht weit von ihrem Arbeitsplatz bei der Sozialfürsorge. Ich setzte mich auf der gegenüberliegenden Straßenseite in einen Holzstuhl, vertiefte mich in die Times-Picayune und wartete auf sie. Kurz nach Mittag sah ich, wie sie mit einer Gruppe von Leuten, die alle Mittagspause hatten, den Gehsteig entlangkam. Sie trug eine Sonnenbrille, ihren breiten Strohhut und ein hellgelbes Kleid. Sie könnte bis ans Ende ihrer Tage in New Orleans leben, dachte ich, und trotzdem würde man ihr Kansas immer anmerken. Sie hatte den sonnengebräunten Teint eines Mädchens vom Lande, der niemals seine Farbe zu ändern schien, und obwohl ihre Beine hübsch und ihr Hintern eine Freude fürs Auge waren, ging sie in ihren hochhackigen Schuhen so, als befände sie sich an Bord eines stampfenden Schiffes.
Ich beobachtete sie, wie sie sich an einen Tisch setzte, den Rücken mir zugewandt, ihre Sonnenbrille abnahm und beim Kellner mit beiden Händen heftig gestikulierend bestellte. Er reagierte überrascht und verwirrt, und ich konnte fast hören, daß sie etwas orderte, was nicht auf der Speisekarte stand – eine ihrer Angewohnheiten –, oder ihm von irgend etwas »Verrücktem« erzählte, das sie auf der Straße gesehen hatte.
Dann hörte ich die metallbeschlagenen Räder eines riesigen Handwagens auf dem Pflaster und die Stimme eines älteren schwarzen Mannes, der laut rief: »Kauft Melonen, kauft ’loupes, kauft Pflaumen, kauft süße rote Erdbeeren.« Der Karren war bepackt mit Kisten voller Obst und zahlreichen Pralinenschachteln, in grünes Seidenpapier eingewickelten Rosensträußen und kleinen Flaschen mit Traubensaft, die in einem Eimer mit gestoßenem Eis steckten.
»Wie geht’s, Cappie?« fragte ich.
»Tag, Lieutenant«, antwortete er und grinste mich an. Sein Kopf war kahl und von der Sonne braungebrannt, und er trug eine graue Schürze. Er war in Laplace aufgewachsen, gleich nebenan von Louis Armstrongs Familie, aber er verkaufte schon seit Jahren im French Quarter seine Waren und war so betagt, daß weder er noch jemand anders sein tatsächliches Alter kannte.
»Ist Ihre Frau noch im Krankenhaus?« fragte ich ihn.
»Nein, Sir, sie is wieder obenauf und springt schon wieder durch die Türen.«
»Wie bitte?«
»Na ja, sie springt durch die Türen. Die Tür rein, die andere raus. Wollen Sie wieder Ihren Traubensaft heut?«
»Nein, aber ich sag Ihnen was. Sehen Sie die hübsche Dame da drüben auf der anderen Straßenseite, die mit dem gelben Kleid?«
»Ja, Sir, ich glaub schon.«
»Bringen Sie ihr ein paar von diesen Rosen und ’ne Schachtel Pralinen. Hier – der Rest ist für Sie, Cappie.«
»Und was soll ich ihr sagen?«
»Sagen Sie einfach, das ist ’ne kleine Aufmerksamkeit von ’nem gutaussehenden Cajun-Burschen«, sagte ich und zwinkerte ihm zu.
Ich warf noch einen Blick auf Annie, dann drehte ich mich um und ging zurück in die Decatur Street, wo ich meinen Mietwagen geparkt hatte.
Der Strand außerhalb von Biloxi wirkte strahlend weiß und kochend heiß in der Nachmittagssonne. Die Palmen auf demBoulevard schwankten im Wind, und die grüne Wasserfläche des Golfes war von hellen Lichtstreifen durchzogen und mit dunklen blauen Flecken wie von treibender Tinte übersät. Im Süden braute sich ein Sturm zusammen, und die Wellen brachen sich bereits am Ende der Molen. Die Gischt schoß hoch in die Luft, noch ehe man das Geräusch der Wellen hören konnte, und in der Dünung sah ich die hell glänzenden Köderfische und die dunklen, dreieckigen Schatten der Stachelrochen – beinahe wie Öllachen –, die vom heraufziehenden Sturm nahe ans Ufer gedrückt wurden.
Das Gulf Shore Restaurant hatte ich bald gefunden, aber der Mann, der für den Parkservice zuständig war, schien noch nicht im Dienst zu sein. Ich ging ein kurzes Stück am Strand entlang, kaufte mir an einem Imbißstand einen Pappteller gebratener Barbe und Hush Puppies und setzte mich zum Essen auf eine
Weitere Kostenlose Bücher