Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
leuchtenden Feuern, die oft mitten in der Nacht irgendwo am südlichen Horizont zu sehen gewesen waren, und von den verkohlten Leichen, die sie in ihren Netzen aus dem Wasser gezogen hatten. Ich verstand damals nicht, wer oder was diese Nazis waren, aber ich stellte sie mir vor als schlitzäugige Kreaturen in dunklen Uniformen, die unter Wasser lebten und harmlose, unschuldige Menschen verbrennen und ermorden konnten, wann immer ihnen danach zumute war.
Viele Jahre später, als ich aufs College ging, war ich mit einem Sauerstofftank und einem Gürtel voller Blei zu dem Wrack hinuntergetaucht. Es lag in rund zwanzig Meter Tiefe auf der Seite. Die Decksreling und das vordere Geschütz waren völlig von Moos überwuchert, aber die weiße Kennummer am Kommandoturm war immer noch zu erkennen. Das Heck des Bootes ragte schrägnach unten in die Tiefe, und ich glaubte, in der Nähe der Schrauben die frenetischen, wirbelnden Bewegungen von Sandhaien zu erkennen. Mein Herz klopfte wild in meiner Brust, meine Lungen sogen immer schneller den Sauerstoff aus den Tanks ein, und mein Gesicht war schweißnaß unter meiner Tauchmaske. Aber ich war entschlossen, mich nicht von den Angstträumen meiner Kindheit überwältigen zu lassen, und schwamm hinunter zu der dunklen, massigen Silhouette des Kommandoturms und klopfte mit dem Heft meines Bowiemessers einige Male gegen die schweren Stahlplatten.
Und dann, während ich über dem Wrack des U-Boots schwebte, geschah das Seltsamste, was ich in meinem Leben erfuhr. Ich fühlte, wie mich plötzlich eine kalte Strömung erfaßte, die aus der Tiefe unterhalb der Schiffsschrauben kam, und eine Reihe Luftblasen stieg von unterhalb des Rumpfes nach oben. Ich hörte, wie der stählerne Schiffskörper auf dem Boden scheuerte, dann folgte ein lautes, knirschendes Geräusch, ein Gleiten, eine schmutzige Wolke von Moos und aufgewühltem Sand, und dann stellte sich das U-Boot plötzlich beinahe aufrecht und begann langsam vom kontinentalen Schelf in die Tiefe abzurutschen. Voller Schrecken sah ich dem Wrack nach, bis es in der Dunkelheit verschwunden war. Die Sandhaie schlängelten sich wie braune Aale in seinem unsichtbaren Kielwasser.
Später erfuhr ich, daß dieses Wrack mehrere Meilen weit an der Küste von Louisiana entlanggetrieben worden war, und es war reiner Zufall, daß das Boot gerade in dem Augenblick wieder in Bewegung geraten war, als ich mich über ihm befand. Trotzdem beschäftigte mich noch lange Zeit die Vorstellung von jenen ertrunkenen Nazis, die nach all den Jahren immer noch um die Welt segelten, die Augenhöhlen und knochigen Münder voller Seetang, immer noch in Ausübung ihres diabolischen Planes unter der ruhigen, smaragdgrünen Fläche des Golfs.
Ein Zerstörer der amerikanischen Marine hatte ihrem Schiff mit einer Reihe von Wasserbomben damals, im Jahre 1942, das Rückgrat gebrochen. Aber ich war überzeugt, daß das Böse, das es verkörperte, nur durch diese Familie abgewendet wurde, die ihr Leben opferte, um das ihres jüngsten Kindes zu retten.
* * *
Das Telefon läutete, als ich über die Leiter wieder auf das Deck meines Hausboots kletterte. Ich setzte mich in den heißen Schatten des Sonnenschirms und trocknete mir mit einem Handtuch das Gesicht, während ich mir den Hörer ans Ohr hielt. Es war Captain Guidry.
»Dave, sind Sie das?« fragte er.
»Ja.«
»Wo haben Sie gesteckt? Ich versuche schon seit zwei Stunden, Sie zu erreichen.«
»Worum geht’s?«
»Tut mir leid, aber ich habe schlechte Nachrichten. Es ist Ihr Bruder Jimmie. Jemand hat in der öffentlichen Toilette unten am French Market zwei Schüsse auf ihn abgegeben.«
Ich preßte mir die Hand an die Stirn und blickte hinaus auf den See, wo die Hitzewellen auf die Wasserfläche hämmerten.
»Wie schlimm ist es?« fragte ich.
»Ich will Ihnen nichts vormachen. Sein Leben hängt am seidenen Faden. Es sieht so aus, als hätte ihm der Typ zwei Schüsse mit ’ner 22er seitlich in den Schädel verpaßt. Hören Sie, Jimmie ist ein harter Bursche. Wenn es überhaupt eine Chance gibt, dann wird er’s überstehen. Wollen Sie, daß ich Ihnen einen Wagen rüberschicke und Sie hole?«
»Nein, ich hab einen Mietwagen. Wo ist er jetzt?«
»Ich bin hier bei ihm im Hotel Dieu Sisters. Und fahren Sie vorsichtig, hören Sie?«
Der Verkehr war mörderisch, als ich durch die Stadt fuhr. Ich brauchte eine halbe Stunde, bis ich am Krankenhaus war und einen Parkplatz gefunden hatte. Mit schnellen Schritten
Weitere Kostenlose Bücher