Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Arsch zu retten, oder?«
Ich antwortete nicht. Der Wind war inzwischen recht kühl geworden und beutelte den Segeltuchschirm über unseren Köpfen. Weiter draußen auf dem See segelte ein halbes Dutzend Pelikane flach über dem Wasser. Ihre Schatten eilten ihnen auf der grünen Fläche voraus.
»Stimmt’s, oder hab ich recht?« fragte er noch einmal und grinste.
»Sie haben recht.«
Dann wurde sein Gesicht wieder ernst.
»Also, Finger weg von Didi Gee, keine Wildwestaktionen, keine anderen Spielchen«, sagte er. »Der Dicke kommt in den Knast, darauf können Sie sich verlassen, aber immer streng nach den Regeln. In Ordnung?«
»In Ordnung«, antwortete ich.
Aber während er es sagte, dachte ich bei mir: Wenn wir Gott gegenüber unser Wort brechen, warum sollten wir dann nicht ab und zu auch darüber hinwegsehen, was wir unseren Freunden und Vorgesetzten versprochen haben?
Am Montagmorgen mußte ich eine weitere Befragung durch die Männer von Internal Affairs über mich ergehen lassen, diesmal wegen meiner letzten Auseinandersetzung mit einem ihrer Leute. Wir saßen zu dritten in einem geschlossenen, makellos weißen Raum, der nur mit einem Holztisch und drei Stühlen eingerichtet war. Meine Gesprächspartner machten sich über alles Notizen. Die gelben Schreibblöcke, die sie vor sich auf dem Tisch liegen hatten, waren über und über bedeckt mit den Kritzeleien ihrer schwarzen Filzstifte. Ich kannte keinen von ihnen.
»Warum haben Sie Lieutenant Baxter geschlagen?«
»Er hat mich provoziert.«
»Wie kam das?«
»Was geht Sie das an?«
»Wie bitte?«
»Ich sagte, warum stellen Sie mir diese Fragen? Sie arbeiten doch jeden Tag mit dem Mann zusammen. Sie sollten ihn besser kennen als ich.«
»Sollen wir schreiben, daß Sie sich weigern, diese Frage zu beantworten?«
»Ich habe Nate Baxter geschlagen, weil er ein schlechter Polizist ist. Er versucht immer, andere herumzuschubsen und zu erniedrigen. In meinem Fall hat er versucht, Beweismittel im Fall der Folterung und Ermordung eines Beamten der Bundespolizei zu ignorieren. Natürlich kann ich das nicht beweisen, aber es stimmt trotzdem, und Sie beide wissen das ganz genau.«
Beide sahen mich mit ausdruckslosen Gesichtern über den Tisch hinweg an. In der Stille konnte ich das Summen im Schacht der Klimaanlage hören.
* * *
Auf dem Weg nach draußen überredete ich einen der Verwaltungsangestellten, mir den Computerausdruck zu zeigen, den der Captain vom National Crime Information Center in Washington bekommen hatte. Es handelte sich um eine knappe, beinahe verschwommene Beschreibung – so ähnlich wie das Abbild eines Gesichtes, das mit Säure in eine Steinplatte geätzt wurde, zugleich verschwommen und brutal erscheinen kann.
GEB. 1957 IN CAMDEN, NEW JERSEY. HIGHSCHOOL-ABSCHLUSS 1975. 2 JAHRE MIAMI-DADE CITY COLLEGE. BERUF: REINIGUNGSFACHMANN, HAUSWART, VERTRETER. VERDACHT AUF BETEILIGUNG AN 6 MORDEN IM AUFTRAG DES SYNDIKATS. 1 ANKLAGE WEGEN MISSACHTUNG, DIE ZU 3 MONATEN HAFT IM GEFÄNGNIS VON BROWARD COUNTY FÜHRTE. DERZEITIGE ADRESSE: CASA DEL MAR, GALT OCEAN MILE, FORT LAUDERDALE, FLORIDA.
Ich versuchte mir den Mann vorzustellen. Sein Gesicht blieb ein leeres, dunkles Oval, ähnlich dem Kerngehäuse eines verfaulten Apfels, aber ich sah vor mir die affengleichen Hände. Sie waren kräftig, mit ausgeprägten Knöcheln und einer dicken Handfläche, aber sie waren weder für Arbeit geeignet noch dafür, die Brust einer Frau zu streicheln oder auch nur mit den Jungs ein paar Bälle hin und her zu werfen. Statt dessen legten sie sich beinahe auf natürliche Weise um bestimmte Werkzeuge, die wiederum nur Mittel zum Zweck waren: ein 22er Magnum Revolver, eine Pistole vom Kaliber .410, ein Rasiermesser, ein Eispfriem mit Korkaufsatz, eine Uzi-Maschinenpistole. Er löste die Seelen von den Körpern, den Kummer und Schreck aus ihren Augen; er entband sie von ihrer sterblichen Verankerung, sägte den Himmel vom Rand der Erde ab, versetzte sie zärtlich wie ein Liebhaber in das Räderwerk der Sterne. Manchmal sah er sich abends seine Taten in den Spätnachrichten an, löffelte dabei Eiskrem aus der Packung und verspürte eine seltsame sexuelle Erregung angesichts der Tatsache, daß alles so einfach war, angesichts der Reinheit, angesichts des stroboskopähnlichen Leuchtens der Stellen, wo man mit Kreide den Umriß ihrer Körper nachgezeichnet hatte, angesichts der Erinnerung an den Geruch des Todes, der gleichzeitig der Geruch des Meeres, des
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