Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Liebesakts, der Geburt war.
Er war an jenem Morgen um halb zehn festgenommen worden, befand sich zur Zeit hinter Schloß und Riegel in einem Gefängnis in Fort Lauderdale und wartete auf seine Auslieferung nach Louisiana. Mit ein bißchen Glück konnte Jimmie ihn identifizieren, und mit der richtigen Drehung der Daumenschrauben wäre er bereit, Didi Gee in einen Flugzeugpropeller zu stoßen.
Eigentlich hätte es reichen müssen. Aber es reichte nicht.
Ich fuhr zu meinem Hausboot zurück und suchte den alten Geldbeutel aus Leintuch, in dem ich früher meine Münzsammlung verwahrt hatte. Die Leinwand war aus einem alten Segel getrennt und mit doppelten Nähten versehen, und man konnte den Beutel oben mit einem Lederband zusammenziehen und verschnüren. Dann durchwühlte ich meine Werkzeugkiste und fand ein halbes Dutzend Radschrauben, drei Kugellager und eine riesige eiserne Mutter, die ich immer zum Beschweren meiner Krabbenfallen benutzt hatte.
Oben am Himmel zogen Regenwolken vorbei, und mein Hausboot und der See lagen plötzlich im Schatten. Die Wellen hoben sich mit ihren weißen Kappen von der schiefergrünen Wasserfläche ab. Die Luft war kühl und roch nach Bäumen und Salz und nassem Sand, in dem zahllose Schalentiere lebten. Ich fühlte, wie in meinem Kopf die Warnleuchten angingen, wie es einem geht, wenn man auf das bernsteinfarbene Leuchten in einem Whiskeyglas starrt. Man hebt das Glas an den Mund und sieht sich Auge in Auge mit diesem proteischen, tanzenden gelben Lichtball, und dann trifft seine heiße Energie den Magen, brennt sich einem durch die Brust und reißt lange versiegelte Bereiche des Gehirns auf, von deren Existenz man gar nichts wußte. Aber die Ehe ist geschlossen, die Hyäne läßt sich nicht mehr abschütteln, das Warnsignal ist längst auf Rot gesprungen, und man hat nicht einmal das Vergnügen, Abscheu vor sich zu empfinden, denn die Metamorphose, auf die man sich eingelassen hat, ist das einzige, was jetzt noch von einem übrig ist.
Nein, es war nicht so, daß ich die Kontrolle verloren hatte. Es war nicht der Whiskey oder ein Adrenalinstoß, der meinen Körper erfaßt hatte. Ich mußte einfach ein paar Dinge geraderücken.Und es gibt Situationen, in denen man etwas nicht dadurch geraderückt, daß man vernünftig ist oder denkt.
Vernunft
ist ein Wort, das ich immer mit Bürokraten, mit Papierkrieg und mit Komitees und Ausschüssen assoziierte, die von vornherein nicht dafür gedacht waren, irgendwelche Probleme zu lösen. Ich möchte nicht hart erscheinen. Was ich sagen will, ist vielleicht nur, daß das, was für andere Menschen funktioniert, mir nie viel weitergeholfen hat, und das liegt wahrscheinlich einfach daran, daß ich schon vor langer Zeit meine Schaltkreise überlastet und durchgebrannt hatte. Ich war nie gut im Umgang mit komplexen Situationen, und wenn ich mich damit beschäftigte, endete es in der Regel immer mit einer Katastrophe. Das war auch der Grund, warum ich soviel Sympathie für das hatte, was Robert Frost einmal im Zusammenhang mit seinem lebenslangen Engagement für die Kunst sagte. Er sagte, unsere Gottesfurcht stelle die Frage: Ist mein Opfer in Seinen Augen akzeptabel, ist es wertvoll genug? Wenn alles gesagt und getan ist, wird dann das Gute das Böse überwiegen? Habe ich wirklich mein Bestes gegeben, auch wenn es ein eher schwaches Spiel war, bis zum Ende des neunten und letzten Durchgangs?
Nein, vielleicht spreche ich einfach nur von Ehre. Ich konnte sie nicht definieren, soweit es mich betraf, aber ich erkannte sie in anderen, und ich war zutiefst überzeugt, daß diese Tugend nur wenig damit zu tun hatte, daß man vernünftig war. Außerdem war ich mir völlig sicher, daß es für einen Mann genauso unehrenhaft war, sich von anderen benutzen zu lassen, wie seinerseits andere Menschen zu benutzen. Und als Polizist war ich mir bewußt, daß das Benutzen anderer Menschen – wahrscheinlich die größte Sünde, die wir begehen können – von der Bruderschaft der Rechtsgelehrten zum Anlaß für endlose Moralpredigten genommen wurde.
Ich hatte also an diesem Nachmittag keine Verwendung für Warnlampen, auch wenn sie mich an jene bernsteinfarbene Hitze erinnerten, die sich beinahe durch das Glas hindurch in meine Hand fraß und mir den Arm emporkroch. Es war ein windiger Tag, ein Tag, an dem die Wellen auf dem See weiße Schaumkronen trugen, ein Tag, an dem die salzige Gischt durch meine Fenster sprühte. Die Palmwedel streckten sich gegen den
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