Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Verwundeten in einen Hubschrauber luden, das Elefantengras rings umher plattgedrückt von den Rotoren, ihre staubigen Gesichter von angetrocknetem Schweiß verklebt, den Kopf in Richtung des Geschützfeuers gedreht, das sie noch hinter sich hörten, da fühlte ich mich wie ein Aussätziger, der nicht aufhören kann, an seinen verkrusteten Wunden herumzukratzen. Und wie dieser Aussätzige wußte ich, daß ich dabei war, meinen Finger in eine dunkle Vertiefung aus Schmerz und Kummer zu stecken, die trotz der langen Zeit noch nicht ausgeheilt war. Ich spulte am Lesegerät die einzelnen Mikrofilme durch, bis ich die Fotografien wiedergefunden hatte, die während des Massakers von My Lai und danach aufgenommen worden waren. Besonders eines dieser Bilder hatte ich nicht vergessen können, seit ich es vor fünfzehn Jahren das erstemal in Newsweek gesehen hatte. Die Dorfbewohner waren zusammengetrieben worden, ein GI mit einem M-16 stand vor ihnen, und eine Frau machte mit beiden Händen eine flehende Bewegung, während ihr kleiner Sohn, nicht älter als fünf Jahre, sich an ihrem Rock festklammerte und dahinter hervorschaute, das Gesicht gezeichnet von verständnislosem Schrecken und Horror. Sein Mund war aufgerissen, die Haut straff über dem Schädel gespannt vor Angst, und in seinen weitgeöffneten Augen war das Wissen, daß die Worte seiner Mutter ihn nicht vor dem, was gleich geschehen würde, bewahren konnten.
Das nächste Bild auf dem Mikrofilm zeigte den Graben, an dem sie hingerichtet worden waren. Auf dem Grund dieses Grabens, mitten im Durcheinander der Gliedmaßen der Erwachsenen, lag der Körper eines kleinen Jungen, der die gleichen kurzen Hosen und das gleiche T-Shirt trug wie das Kind in der vorhergehenden Aufnahme. Das war der Krieg, den ein amerikanischer Präsident einen »heiligen Auftrag« genannt hatte.
Ich wußte, daß auch ich auf ewig von diesem Objektiv eingefangen, auf einem Filmbild festgehalten sein würde, mit dem nie jemand umgehen konnte, weil das bedeuten würde, sich einer Verantwortung zu stellen, die eine ganze Nation lähmen könnte.
Das ist auch der Grund, warum das Wort Besessenheit in unserem analytischen Vokabular so treffend ist. Es ist der Begriff, den wir auf die anwenden, die im Innern einer Kamera festsitzen, die sich nie wieder befreien können aus jenen dunklen Kapiteln der Geschichte, die von anderen für sie geschrieben wurden. Aber ich hatte das Gefühl, daß der General durchaus verstehen würde, was ich meinte, daß auch er in einem unerwarteten Augenblick das Klicken des Verschlusses gehört hatte, daß er sich mit plötzlichem Herzklopfen der Tatsache bewußt geworden war, daß einige von uns nur noch als Zaungäste in der Gegenwart weilen.
Später an diesem Nachmittag geschah etwas Seltsames. Ich fuhr zu meinem Hausboot zurück, machte mir ein Sandwich und trank dazu ein Glas Eistee, und plötzlich fühlte ich mich todmüde. Ich machte ein Nickerchen, während der Ventilator in der heißen Kabine für einen gewissen Luftzug sorgte, und wachte eine Stunde später mit der dumpfen Hitze des Nachmittags im Kopf wieder auf. Ich ließ Wasser in das Abwaschbecken in der Küche laufen, wusch mir das Gesicht und trocknete mich mit einem Papierhandtuch ab. Dann starrte ich gedankenverloren durch das Fenster in das gleißende Sonnenlicht hinaus. Nach einer Weile sah ich plötzlich einen Mann, der weiter unten am Strand unter einer Palme stand. Sein Haar war völlig weiß, seine Haut tief gebräunt, seine Haltung aufrecht und gerade. Er rauchte eine Zigarette, die in einer Spitze steckte, und schaute durch seine Pilotensonnenbrille über die schimmernde Wasserfläche des Sees. Ich wischte mir mit den Fingern das Wasser aus den Augen und sah noch einmal schärfer hin. Ich hatte das Gefühl,als sei ich tatsächlich besessen. Ich ging auf das Deck hinaus und sah, wie er sich umdrehte und zu mir herüberblickte. Der Wind wehte den Rauch der Zigarette aus seinem Mund. Ich stieg mit schnellen Schritten über die Gangway auf das Dock und ging am Strand entlang auf ihn zu. Er sah mich noch einen Augenblick lang an, nahm die Zigarette aus der Spitze und ließ sie in den Sand fallen. Dann ging er langsamen Schrittes zu einem dunkelgrauen Chrysler und fuhr davon. Die Hitze war wie heißer Dampf, der von einem glühenden Ofen aufstieg.
Ich zog meine Laufschuhe an und rannte vier Meilen am Strand entlang, dann duschte ich in meiner Blechdusche und rief Annie an, um ihr zu sagen, daß ich
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