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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Lee Burke
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Scharnieren befestigt waren und mit Hilfe eines Stockes hochgestellt werden konnten. Die Wände waren mit Versandhauskatalogpapier ausgestopft und dann mit Tapete überklebt, die sich bereits löste und mit braunen Wasserflecken übersät war. Die Außentoilette stand neben einem kleinen Schweinekoben und hatte ein rostiges altes Cola-Schild als Dach.
    Aber es gab noch andere Dinge, die einem ins Auge sprangen, wenn man ins Haus trat: ein Farbfernseher, eine nachgemachte bayerische Wanduhr über dem mit Holz beheizten Ofen, Plastikblumen in Marmeladengläsern, ein leuchtendgelber, mit Resopal beschichteter Frühstückstisch neben einem uralten gemauerten Kamin, der voll Müll gestopft war.
    Die Eltern konnten oder wollten mir nur wenig erzählen. Die Mutter starrte ständig mit leerem Blick auf die Unterhaltungssendung im Fernsehen. Ihr massiger Körper steckte in limettengrünen Stretchhosen und einem alten Herrenoberhemd mit abgetrennten Ärmeln. Der Vater war grauhaarig und alt und ging am Stock, als habe er einen Wirbelschaden. Er roch streng nach der Maiskolbenpfeife, die er in der Hemdtasche trug. Seine Augen waren verhornt und getrübt vom grauen Star.
    »Sie is fort nach New Orleans. Ich hab ihr gesagt, ein schwarzes Mädchen vom Land hat dort nix zu suchen, hat sie«, erzählte er. Er saß auf der Couch, die Hand um den Griff seines Stocksgelegt. »Sie’s bloß ’n Mädchen vom Land. Was hat sie mit die Leute da in New Orleans zu tun? Das hab ich ihr gesagt, hab ich.«
    »Für wen hat sie gearbeitet, Mr. Deshotels?«
    »Was weiß ich von New Orleans? Ich hab da nix mit zu tun, hab ich.« Er lächelte mich an und ließ mich seinen zahnlosen blauen Gaumen sehen.
    »Sind Sie auch der Meinung, daß sie ertrunken ist?«
    Er antwortete nicht gleich, und das Lächeln verschwand von seinem Gesicht. Seine Augen schienen mich jetzt zum erstenmal richtig zu erfassen.
    »Sie glauben, die kümmert’s, was ’n alter Nigger sagt?« fragte er mich.
    »Mich schon.«
    Er antwortete nicht. Er steckte sich die kalte Pfeife in den Mund, schnalzte mit der Zunge und starrte ausdruckslos auf den Fernsehschirm.
    »Ich gehe jetzt«, sagte ich und stand auf. »Tut mir leid, was mit Ihrer Tochter geschehen ist. Wirklich.«
    Er wandte den Blick wieder mir zu.
    »Wir ham elf gehabt, wir«, sagte er. »Sie war unser Baby. Ich hab sie tite cush-cush genannt, weil sie immer so gern  cush-cush gemocht hat, als sie ’n kleines Mädchen war. Helfen Sie mir hoch. Ich bring Sie raus, Sie.«
    Ich faßte ihm unter den Arm, und wir gingen gemeinsam in das strahlende Sonnenlicht auf der Veranda. Der Wind strich über die grünen Zuckerrohrfelder auf der anderen Seite der Straße. Der Arm des alten Mannes war mit einem Netz hervortretender Venen überzogen. Er humpelte neben mir bis zu meinem Wagen, ehe er wieder mit mir sprach.
    »Die ham sie umgebracht, nich wahr?« fragte er.
    »Ich glaube, ja.«
    »Sie is nur ’ne kleine farbige Zuckerschnecke für die weißen Männer gewesen, und dann ham se sie abgestoßen«, sagte er. Seine Augen wurden feucht. »Ich sag immer zu ihr: ›Zuckerschneck, Zuckerschneck, rollt über’n Damm, immer auf der Suche nach ’ner Frau ohne Mann.‹ Sie sagt: ›Schau doch den Fernseher und die Uhr und den Tisch, den ich Mama mitgebracht hab.‹ Das hat se gesagt, hat sie. Ein kleines Mädchen, das nich mallesen kann, bringt ihrer Mama ’n Fernseher für fünfhundert Dollar mit. Was soll man machen, wenn se erst mal neunzehn sin? Die hören einfach nich, nich wenn se Geld vom weißen Mann kriegen. Sie is mit ’nem großen Auto aus New Orleans rübergefahren und sagt mir, sie will mit uns nach Norden ziehen, sagt sie. Kleines Mädchen, ißt immer noch cush-cush  und glaubt, sie is schlauer als die weißen Männer, glaubt sie, und bringt ihren alten Niggerdaddy nach New York rauf. Was hat sie getan, daß die sie umgebracht ham?«
    Ich hatte keine Antwort für ihn.
    Ich fuhr eine dieser einsamen Landstraßen entlang, ein flacher, schimmernder See auf der einen Seite und ein überschwemmter Wald auf der anderen, als ich den blau-weißen Polizeiwagen im Rückspiegel bemerkte. Der Fahrer hatte bereits sein Kaugummilicht angestellt und ließ kurz seine Sirene ertönen, während er sich fast an die Stoßstange meines Wagens hängte. Ich nahm Gas weg und wollte auf den Seitenstreifen fahren, aber die Steine und das Gras waren übersät mit Scherben alter Bierflaschen, die wie bernsteinfarbene Zähne in der Sonne

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