Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
verschwinden?«
»Wer weiß? Ich würd jedenfalls aufhören, ihnen auf den Schwanz zu latschen.«
»Kommen wir zur Sache. Da ist was, was ich gern wissen möchte, Clete. Wie oft ist es dir bei deinen Untersuchungen über Schießereien untergekommen, daß der Schütze hinterher seine Hülsen einsammelt?«
»Ich versteh nicht.«
»Und ob du verstehst.«
»Ich weiß nicht. Ich schätze, ich hab mir noch nie Gedanken drüber gemacht.«
»Also ich hab’s nicht einmal erlebt«, sagte ich. »Außer, wenn ein Bulle geschossen hat.«
»Was willst du damit sagen?«
»Ist schon merkwürdig, wie so was zur Routine werden kann, findest du nicht?«
»Tatsächlich. Stell dir vor.«
»Also wenn ich der Schütze wäre, dann würd ich eher die Hülsen zurücklassen als meine Handschrift.«
»Vielleicht gibt’s ein paar Dinge, über die zu spekulieren sich nicht lohnt, Dave.«
»Wie schon gesagt, ich hab im Augenblick nicht viel zu tun. Ich vertreibe mir einfach die Zeit. Ich war heut morgen zwei Stunden drüben im Büro des Sheriffs von St. Charles und hab Fragen über Bobby Starkweather beantwortet. Haben die mit euch schon Verbindung aufgenommen?«
»Wir haben davon gehört.« Er klang allmählich leicht genervt.
»War eine ganz schöne Schweinerei da draußen. Noch ’ne Stunde länger, und ich schätze, von Bobby Joe wär kaum was übriggeblieben außer seiner Gürtelschnalle und den Nägeln aus seinen Stiefeln.«
»Ich finde, er macht sich viel besser als Würstchen. Irgendwann findet eben jeder seinen richtigen Platz. Ich hab noch zu tun, Partner.«
»Tu mir einen Gefallen. Kannst du mal an den Computer gehen und versuchen, ob du was rauskriegst über einen pensionierten Zweisternegeneral namens Abshire?«
»Hör endlich auf und entspann dich, Dave. Du mußt dich an die Gegebenheiten anpassen. Wir kommen schon irgendwie aus dieser Scheiße raus. Du wirst sehen. Adios .«
Die Verbindung war unterbrochen, und ich sah hinaus auf die Wasserfläche, die im dunstigen Licht des Sommers rauchig grün wirkte, und goß mir ein neues Glas Jim Beam ein. Ich fragte mich, womit sie ihn in der Hand hatten. Nutten? Einnahmen aus dem Drogenhandel? Manchmal hatte es den Anschein, als ob die Besten von uns den Leuten, die wir am meisten verabscheuten, immer ähnlicher wurden. Und wenn ein guter Polizist einmal ins Unglück stürzte, war er meist nicht in der Lage, zurückzublicken und den genauen Augenblick zu bestimmen, wo er plötzlich scharf abgebogen und in einer Einbahnstraße gelandet war. Ich mußte daran denken, wie ich einmal im Gerichtssaal gesessen hatte, als ein ehemaliger Baseballprofi aus New Orleans wegen Erpressung und Drogenhandels zu zehn Jahren in Angola verurteilt wurde. Siebzehn Jahre früher hatte er als Werfer fünfundzwanzig Spiele gewonnen, hatte einen so schnellen Ball geworfen, daß er damit ein Scheunentor demolieren konnte, und jetzt wog er fast dreihundert Pfund und hatte einen Gang, als habe er eine Bowlingkugel zwischen den Beinen. Als man ihn fragte, ob er vor der Urteilsverkündung noch etwas zu sagen hätte, starrte er den Richter an, wobei die Speckringe in seinem Nacken zitterten, und antwortete: »Euer Ehren, ich habe nicht die geringste Ahnung, wie ich von da nach hier gekommen bin.«
Ich hatte ihm das ohne weiteres geglaubt. Aber als ich in der warmen Brise saß und die schwerfällige Hitze des Whiskeys inmeinem Kopf zu spüren begann, dachte ich nicht an Clete oder einen ehemaligen Baseballstar. Ich wußte, daß meine eigene Lunte brannte, und daß es nur noch eine Frage der Zeit war, wann mein ruhig vor sich hin glimmendes Feuer erneut aufflammen und mein ganzes Leben erfassen würde. Ich hatte mich noch nie so einsam gefühlt, und ich stieß ein Gebet aus, das all dem zu widersprechen schien, was ich damals in der katholischen Schule gelernt hatte:
Lieber Gott, o Herr im Himmel verlaß mich nicht, auch wenn ich dich verlassen habe.
8
Am späten Nachmittag machte ich mir ein Poor-Boy-Sandwich mit Austern, Shrimps, Salat und sauce piquante und fuhr anschließend über die sich langsam abkühlenden, von Bäumen beschatteten Straßen zum Gebäude der Times Picayune, wo einer der Redakteure der Nachtschicht mir hin und wieder Zugang zum Archiv verschaffte.
Erst jedoch wollte ich Annie um Entschuldigung bitten, daß ich sie neulich nachts auf meinem Hausboot so plötzlich verlassen hatte. Es mußte der Jim Beam am Nachmittag gewesen sein, der mir diese magische Kraft verlieh.
Ich
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