Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Gaylan Abshire, und er wohnte mitten in New Orleans im Garden District, ganz in der Nähe der St. Charles Avenue. Er hatte die Militärakademie von West Point absolviert und im Zweiten Weltkrieg wie auch in Korea zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Ein Farbfoto aus dem Jahr 1966 zeigte ihn, wie er mit seinen Männern in einer in das Elefantengras geschnittenen Landungszone irgendwo im zentralen Hochland von Vietnam hockte und aus einer GI-Proviantkiste aß. Er trug eine automatische Pistole in einem Schultergurt, den er sich über die nackte, lederhäutige Brust gelegt hatte. Sein Gesicht war tief gebräunt, seine Augenbrauen und sein Haar fast schneeweiß, und seine Augen hatten das intensive Blau einer Butangasflamme. Inder von einem findigen Journalisten geschriebenen Bildunterschrift wurde er als der »glückliche Krieger« bezeichnet.
Aber ich fand noch einen zweiten Jerome Gaylan Abshire in den archivierten Zeitungen. Es handelte sich um einen jüngeren Mann, einen Lieutenant der US Army, offensichtlich sein Sohn. Der Name des Jungen tauchte zum erstenmal in einem Bericht aus dem Jahre 1967 auf, wo er als vermißt gemeldet wurde. Später fand ich noch einen zweiten Zeitungsausschnitt mit Datum vom 1. November 1969, in dem geschildert wurde, wie zwei amerikanische Kriegsgefangene in einer Gegend, die als Pinkville bezeichnet wurde, an Pfosten gefesselt und mit den Köpfen in einen Holzkäfig voller Ratten gesteckt worden waren. In dem Artikel hieß es, bei einem der beiden Soldaten habe es sich möglicherweise um einen Lieutenant Jerome Abshire aus New Orleans gehandelt.
Das Wort »Pinkville« brannte auf dem Papier wie eine nicht gebeichtete und absichtlich vergessene oder verdrängte Sünde. Es war die Bezeichnung, die die GIs der Gegend um My Lai gegeben hatten.
Als habe der Archivar der Zeitung die gleichen Assoziationen gehabt wie ich, hatte er oder sie diesem Bericht die Fotokopie eines Artikels über Aussagen im Zusammenhang mit dem Militärgerichtsverfahren gegen Lieutenant William Calley beigeheftet, als er wegen Anstiftung zum Massaker von My Lai angeklagt wurde. Einer der Soldaten, die als Zeugen aussagten, hatte nebenbei erwähnt, ein paar gefangene Vietcong hätten ihm erzählt, daß zwei amerikanische Gefangene ihnen geholfen hätten, ein Reisfeld zu verminen – dasselbe Reisfeld, in dem sein Zug dann aufgerieben worden war.
Ich war müde. Mein Körper meldete langsam wieder sein Verlangen nach Alkohol, und die Namen der Orte, die Daten und das Foto mit den ermordeten vietnamesischen Zivilisten erfüllten mich mit zunehmender Trauer und Verzweiflung, so daß ich schließlich die Archivmappe schloß, das Lesegerät ausschaltete, zum Fenster ging und eine volle Minute lang in die Dunkelheit hinausstarrte, in der Hoffnung, daß niemand im Raum meine Augen sehen konnte.
Ich selbst habe keine Grausamkeiten von Seiten der Amerikanergesehen, jedenfalls keine bewußt begangenen, litt also nicht unter dieser Art schrecklicher Kriegserinnerungen. Wenn es ein Erlebnis gegeben hatte, das meine Erfahrungen in Vietnam beherrschte, dann war es jener seltsame Vorfall, in den zwei junge Männer meines Zuges und ein ertrinkender Wasserbüffel verwickelt waren.
Die Männer stammten fast alle aus den Südstaaten und waren in kleinen Industriestädten mit Webereien, Konservenfabriken und Baumwollspinnereien aufgewachsen, wo junge Leute kaum andere Möglichkeiten hatten, als am Samstagabend mit einer Gruppe Gleichgesinnter, die ihre Fußballjacken aus der High-School auch Jahre nach Ende der Schulzeit nicht ablegen mochten, ins Autokino zu fahren. Wir hatten damals gerade einen Marsch von rund zwanzig Meilen an einem baumbestandenen, milchigbraunen Fluß entlang aus Indianerland in sicheres Gebiet hinter uns, und die Männer legten ihre Ausrüstung und Waffen ab und zogen sich die Klamotten aus und sprangen ins flache Wasser, wo sie wie kleine Jungen herumtollten. Die Nachmittagssonne schien noch wärmend durch die Bäume und warf bunte Schatten auf den Boden. Ich hatte anderthalb Tage nicht mehr geschlafen und legte mich in das kühle kurze Gras unter einem großen Banyan-Baum, schlug einen Arm über die Augen und war in Sekundenschnelle eingeschlafen.
Eine halbe Stunde später erwachte ich vom lauten Kichern und Lachen und dem betäubenden Geruch von Marihuana. Irgend jemand hatte eine Portion kambodschanischen Roten aufgetan, und der ganze Zug war dabei, sich zu bekiffen. Ich erhob mich etwas steifbeinig von
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