Nephilim
Luft holen, doch Übelkeit stieg in ihm auf, als er merkte, dass nicht er es war, der atmete. Er konnte nicht einmal schreien. Ein anderer regierte über seinen Körper und seine Magie, doch er selbst war noch immer da, klein und verkapselt irgendwo in seiner eigenen Finsternis, unfähig, sich bemerkbar zu machen, und es schien ihm, als brauchte es nur noch eine Winzigkeit, um ihn vollständig auszulöschen.
Er sah zu, wie sich seine Hände mit der flammenden Kugel ausstreckten, fühlte dumpf, wie er einem Angriff mehrerer Engel auswich, und starrte auf die flirrenden Funken seines Zaubers, die sich mit tosendem Grollen schneller und schneller drehten. Er öffnete den Mund, doch es war nicht seine Stimme, die den Zauber beendete, es war die Stimme des Teufels. Er fühlte die Kraft der höchsten Magie und wie sie den Zauber verstärkte, bis er dessen Helligkeit kaum mehr ertragen konnte, und dann, mit einem Schrei, der beinahe seine Lunge zerriss, erhob er sich in die Luft und schleuderte die Kugel zu Boden.
Donnernd schlug sie auf dem Platz auf, es war, als würde sie ein gewaltiges Meer aufwühlen, das bisher unsichtbar gewesen war und nun in einem flackernden grünen Licht erstrahlte. Mächtige Wellen gingen von dem Einschlag aus, sie rasten auf die Engel zu, und während die Nephilim dastanden wie in einem heftigen Sturm, wurden ihre Feinde mitgerissen. Ihre Körper durchschlugen die umstehenden Häuser, sie krachten gegen die Stalagmiten, und als Nando aus seiner Finsternis auf das Schauspiel starrte, überkam ihn ein Gefühl, das er erst nach einem Moment deuten konnte. Glühend flutete es die Dunkelheit, in der er saß, und es riss ihn mit sich, als er die Engel sah, die hilflos durch die Luft geschleudert wurden, als er das Brechen ihrer Flügel hörte und in ihre erschrockenen Gesichter schaute. Genugtuung war es, die ihn erfüllte, er spürte, wie ihn Euphorie ergriff, er hörte sich lachen, sich selbst mit seiner eigenen Stimme, und als er die Schwingen ausbreitete und über die Köpfe der Nephilim hinwegflog, die wie im Traum auf das Portal zueilten, da streckte er die metallene Faust vor und brüllte vor Triumph. Noch nie zuvor hatte er etwas Ähnliches gespürt, die höhere Magie pulste durch seine Adern wie das Licht der Sonne. Es gab keine Zweifel mehr, keine Ängste, keine Grenzen. Außer sich raste er über die Dächer der Stadt hinweg, sah, wie die Nephilim sich retteten, und sein Blick schweifte über die Engel, die zusammengebrochen in den Straßen lagen. Er sah ihre Gesichter – und für einen Moment, einen Wimpernschlag bloß, erblickte er an ihrer Stelle zerschmetterte Menschenleiber in den Gassen von Rom.
Wie aus einem Traum schreckte er aus dem Gefühl des Triumphs hoch, doch die Abscheu, das Entsetzen, auf das er wartete, kam nicht über ihn. Stattdessen pulste weiter das Machtgefühl durch seine Adern, fühlte er weiter die Euphorie im Angesicht der eigenen Kraft, und je stärker er sich dagegen wehrte, desto schneller raste er über die Dächer dahin, und desto mächtiger wurde die Frage in ihm, wer er war – er, der nicht sagen konnte, wer über seine Gefühle regierte, er, der nicht wusste, ob er es war, der diese Gedanken dachte, und er spürte, wie er in seine eigene Finsternis stürzte, rücklings und ohne einen Halt. Sie umschloss ihn mit eiskalten Klauen, sie riss ihn mit sich, bis er nicht mehr wusste, ob er flog oder fiel, bis er jede Frage vergessen hatte – und jede Antwort darauf, die er einmal gekannt zu haben glaubte. Nichts weiter erfüllte ihn mehr als Gleichgültigkeit, und er fror nicht in der Kälte, die ihn in der plötzlichen Leere umfing.
Schwingenrauschend landete er am Rand des Sternenplatzes. Zahlreiche Engel lagen in den Gassen ringsum, die meisten von ihnen waren bewusstlos, andere hatten durch die Stärke des Zaubers ihr Leben verloren. Nephilim liefen an ihm vorbei, sie achteten nicht auf ihn, und er achtete nicht auf sie. Dumpf spürte er die Erschöpfung in den Gliedern, sein Körper war einen magischen Schub von dieser Kraft nicht gewohnt. Er hörte die grollenden Worte, die der Teufel über seine Lippen brachte, er spürte seine Finger wie eine fremde Hand an seiner Stirn, als Luzifer ihm den Schweiß abwischte, und er bemerkte die Eisblumen kaum, die in diesem Moment über den Platz krochen.
Erst als die Kälte seine Wange berührte, fuhr er zusammen, und auf einmal war es, als wäre er wieder allein in seinem Geist, allein auf der ganzen Welt.
Weitere Kostenlose Bücher