Nephilim
überzogen wurden. Nandos Herz schlug in unregelmäßigem Rhythmus, schreckensstarr musste er mit ansehen, wie Bhrorok den Mund öffnete und Spinnen über seine Lippen krochen, klebrige Insekten, die mit knackendem Geräusch auf Nandos Gesicht sprangen und auf seine Nase zueilten, auf seinen Mund, seine Ohren. Er keuchte, das Entsetzen raste mit tausend Nadeln über seine Haut, doch er wandte sich nicht ab. Sollte der Dämon ihn töten, sollte er ihn leiden lassen, aber er würde nicht vor ihm auf die Knie fallen, wimmernd und ängstlich, wie er es erwartete. Da glitt eine Spinne über seine Wange, er fühlte ihre Beine auf seiner Lippe – und im nächsten Moment traf ihn ein mächtiger magischer Impuls. Bhrorok schwankte kurz, und gleich darauf sprang eine von weißem Feuer umgebene Gestalt durch die schwarzen Flammen des Bannkreises. Nando riss die Augen auf, als er Antonio erkannte. Sein Mentor wirbelte so schnell durch die Luft, dass sein weißes Feuer von ihm abglitt, hob seinen Säbel empor und trieb ihn tief in Bhroroks Rücken. Die Klinge glitt durch dessen Brust, keuchend ließ der Dämon Nando fallen. Schwarzes Blut rann aus seinem Mund, ehe er zusammenbrach.
Nando fiel auf die Knie. Er hörte kaum die Angriffe der Engel, die donnernd gegen den Bannkreis schlugen, und nahm auch nicht das Keuchen Bhroroks wahr, der mit stockender Stimme einen Heilungszauber über seine zerfetzte Brust legte. Er starrte Antonio an, doch sein Blick glitt an der reglosen Fassade des Engelgesichts ab wie Regen. Ich hatte keine andere Wahl, flüsterte Antonios Stimme wie damals im Senat durch seine Gedanken, und er wusste, dass nicht Antonio vor ihm stand, sein Mentor, sein Lehrer und sein Freund. Vor ihm stand Alvoron Melechai Di Heposotam, siebzehnter Gesandter des Höchsten Rates, Träger der Schwarzen Flammen zum Zeichen des Rittertums. Vor ihm stand der Erste Pfortenengel, der den einstigen Teufelssohn getötet hatte und den Fürsten der Hölle in seiner Verbannung halten musste – um jeden Preis.
Nando fing an zu zittern, doch gleichzeitig wehrte sich etwas in ihm gegen die Kälte in Antonios Blick, und er stürzte sich hinter die Maske des Engels, ungeachtet dessen, was er dahinter finden würde. Er ertrug die Eiseskälte auf seiner Haut, die Leere und die Finsternis, und er fand denselben Schmerz, den Antonio schon damals im Theater in seinem Blick getragen hatte, nein, schon viel früher – schon bei ihrer ersten Begegnung waren seine Augen von einem Schleier aus Traurigkeit getrübt gewesen, und nun, da er auf Nando zutrat, nun, da er den Säbel hob und ihn mit kaltem Blick fixierte, da spürte Nando, dass er Aldros geliebt hatte, dass dieser wie ein Sohn für ihn gewesen war und dass er nun, da er die Waffe gegen Nando richtete, nicht den Teufelsohn töten würde, der er war – sondern den Nephilim, den Dämon, den Engel und das Menschenkind, das in die Kälte seines Geistes vorgedrungen war und sie gewärmt hatte.
Verzeih mir , flüsterte Nando in Gedanken. Ich habe versagt.
Er wollte die Augen schließen, doch gerade als Antonio den Säbel in die Luft riss, ging ein Flackern durch dessen Blick. Er sah Nando an, Schmerz flammte über seine Züge, dicht gefolgt von einem Lächeln, das ohne ein Wort einen Schauer aus Wärme über Nandos Körper breitete und jede Furcht in ihm im Keim erstickte. Antonio neigte leicht den Kopf wie bei ihrer ersten Begegnung, es war, als würde er sich vor Nando verbeugen. Dann fuhr er herum und trieb Bhrorok, der gerade auf die Beine kam, die Klinge durch die Kehle. Schwarzes Blut quoll hervor, der Dämon röchelte, dann fiel er nach vorn und rührte sich nicht mehr. Im selben Moment brach sein Schutzwall in sich zusammen.
Flieh! , raunte Antonio in Gedanken und errichtete einen Schutzzauber gegen die Angriffe der Engel, die rasch zunahmen. Das dunkle Gold seiner Augen umwehte Nando wie warmer Wind in einer sternklaren Nacht. Es waren Bruchteile von Sekunden, da dies alles geschah – und doch schien es ihm nun, da Antonio den Blick wandte und ihn ansah, als würde dieser Moment nie vergehen. Sein Mentor war am Ende seiner Kräfte. Seine Wangen waren eingefallen, zahlreiche Wunden bedeckten seinen Körper, und seine vom Kampf zerrissene Kleidung war blutbesudelt. Und doch war es Nando, als hätte er Antonio noch nie so majestätisch gesehen wie in diesem Augenblick, da er sich Himmel und Hölle entgegenstellte, um den Sohn des Teufels zu beschützen. Erhaben stand er vor ihm,
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