Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nephilim

Nephilim

Titel: Nephilim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gesa Schwartz
Vom Netzwerk:
Eltern sterben sah und sie nicht retten konnte. Er war die Stille nach ihrem Tod, das hilflose Atemholen und das Warten auf ein Ende dessen, was gerade erst begonnen hatte.
    Er wusste, dass es ein Traum war, in den er geraten war, wusste es deshalb, weil er genau diesen Traum in all den Jahren danach wieder und wieder geträumt hatte. Er wartete auf den Schrei, der sich kalt und stechend in seinen Magen bohren und ihn wecken würde, damit er sich aus dem Bett heraus übergeben konnte, um dann zurückzusinken in dem Bewusstsein, dass nichts von dem, was er gerade erlebt hatte, nur ein Traum gewesen war.
    Es ist nie nur ein Traum , sagte eine Stimme neben ihm, und die Kälte des Teufels und der goldene Schein seiner Haare strichen über Nandos Haut. Es ist eine Erinnerung. Du konntest sie nicht retten. Du warst da, das ist es doch, was du denkst, nicht wahr? Du warst da – und du konntest ihnen nicht helfen.
    Nando starrte in die Flammen. Er hörte wieder die Schreie der Nephilim um sich herum, und er wusste, dass er auf dem Sternenplatz Bantoryns stand. Doch in seiner Hand spürte er noch immer die Finger seiner Mutter, und ihre Schreie waren es, die ihm die Luft abdrückten.
    Sie sterben, sagte Luzifer sanft. Die Nephilim Bantoryns werden vernichtet, gerade in diesem Moment. Deinetwegen sind die Engel in die Stadt gekommen, du weißt, dass dies die Wahrheit ist, und deinetwegen hassen sie die Nephilim so sehr. Deinetwegen geschieht dies alles, und du kannst nichts dagegen tun.
    Nando fuhr zusammen wie unter einem Schlag. Er ballte die Faust, grub sich die metallenen Kuppen seiner Finger in die Handfläche, doch da mengten sich die Schreie der Nephilim in die Stimme des Teufels, er sah die Gesichter der Sterbenden in den Flammen auftauchen, sah seine Mutter, ihr verbranntes Gesicht, und seinen Vater, der mit verkohlten Fingern nach ihm griff. Er sank auf die Knie, er konnte nicht länger stehen, es war, als würde die Kälte, die sich in diesem Augenblick in ihm ausbreitete, ihm alle Kraft nehmen. Zitternd hockte er vor dem brennenden Wrack, er wollte schreien, aber er konnte es nicht.
    Der Teufel kniete sich neben ihn. Schweigend hielt er Nando die Hand entgegen, ein feiner Schnitt zog sich darüber hin, und betrachtete ihn abwartend. Nando sah die zarten Sprenkel in Luzifers goldenen Augen und das Lächeln, das sanft auf dessen Lippen lag, und für einen Moment meinte er, sämtliche Masken des Höllenfürsten zu durchschauen. Ein Abgrund lag vor ihm, eine Schlucht aus Dunkelheit, aber er fand keine Grausamkeit darin, nicht einmal Bosheit. Er schaute in den Abgrund eines Engels.
    Erneut wallten die Schreie der Nephilim in Nando auf, die Schreie seiner Eltern, und als er den Arm ausstreckte und der Teufel seine Hand umfasste, da glitt ein Schmerz in ihn hinein, der wie ein gleißendes Licht war. Er konnte es kaum ertragen, so hell war es, doch Luzifer umschloss seine Hand fester, und sein Gesicht veränderte sich. Kurz war es Nando, als würde er sich selbst gegenüberhocken, und da legte der Teufel den Kopf in den Nacken und lachte. Niemals, das wusste Nando, würde er dieses Lachen vergessen, diesen Schrei aus den tiefsten Schluchten dieser Welt, der auch ein Fluch oder ein Weinen hätte sein können, und die Kälte schoss mit solcher Kraft in seinen Körper, dass er glaubte, den Verstand zu verlieren. Luzifer raste durch sein Innerstes, er wühlte sich durch seine Gedanken, und Nando sah Bilder aus seiner Kindheit in sich auftauchen, Bilder von Noemi, Antonio, Luca, Bilder seiner Eltern, Bilder, die er selbst längst vergessen hatte, und immer wieder Bilder von Mara, von ihren Händen, ihrem Haar, ihrem lachenden und weinenden Gesicht, er sah sie auf der anderen Seite der gläsernen Tür, sah sie die Hand heben und fühlte wieder die Sehnsucht nach ihr in sich aufflammen. Der Teufel erkundete ihn und forderte seinen Platz in seinem Leib, in seiner Magie und seinen Empfindungen, und als er in Bantoryn zu sich kam, da spürte er seinen Körper wie unter Betäubung.
    Noch immer drehte sich die flammende Kugel zwischen seinen Händen. Glühende Streben zogen darüber hin, doch er spürte ihre Hitze wie durch dicke Handschuhe, und als er einen Schritt nach vorn trat, da war es, als würde er an unsichtbaren Fäden hängen, die ein fremder Wille zog. Noch nie zuvor hatte er sich auf diese Weise missbraucht gefühlt, noch nie war er sich selbst so fern gewesen wie jetzt, da ein fremder Geist über ihn gebot. Nando wollte

Weitere Kostenlose Bücher