Neptuns Tochter 3
fehlte noch die Lampe, deren Schein direkt auf Mika gerichtet war, um jede Regung in ihrem Gesicht zu erkennen und entsprechend zu deuten. Aber Mika war inzwischen erwachsener geworden. Standfester. Die Zeit als Mitglied der arbeitenden Bevölkerung hatte ihre Spuren hinterlassen. Nach außen entspannt erhob sich Mika, ging in den Raum mit den Schuhen und setzte die Aus- und Einräumaktion fort.
Nach wenigen Minuten stöhnte sie theatralisch auf. »Was du alles an Zeugs mitgeschleppt hast, Mama«, bemerkte sie. »Dabei habe ich immer geglaubt, dass man in einem Kloster die Kleidung gestellt bekommt.«
»Nur, wenn man dem Verein beitritt«, erwiderte Mikas Mutter schmunzelnd. »Und wenn du sagst, dass du geglaubt hast, dann wärst du dort ja bestens aufgehoben.«
»Ich weiß nicht«, gab Mika zurück. »Da muss man immer so früh aufstehen, muss womöglich ständig still sein und muss sich an so seltsame Regeln halten. Für meinen Geschmack also viel zu viele Musses «, flachste sie.
»So schrecklich ist es auch wieder nicht«, meinte die Mutter. »Ich würde da zwar auch nicht leben wollen, aber in den sechs Wochen habe ich mich trotzdem sehr wohlgefühlt.«
Mika war mit ihrer Arbeit fertig und trat zu ihrer Mutter ins Zimmer. »Wieso hast du eigentlich dieses ungewöhnliche Urlaubsdomizil gewählt? So ganz ohne Kontakt zur Außenwelt. Geht’s dir nicht gut?«
Patrizia David lächelte leicht. »Nun, Mika. Ich komme langsam in das Alter, wo Frauen gern mal in sich gehen. Und da passt ein Kloster doch prima hinein.«
»Wie in dich gehen? Und was heißt hier Alter? Du bist doch gerade erst zweiundfünfzig.«
»Die einen kommen eben früher in die Wechseljahre als andere. Und bei uns liegt das in der Familie. Das wirst du auch noch merken.«
»Wenn du in den Wechseljahren bist, Mama«, fiepte Mika, »müssen wir uns dann auf ganz viele un-s gefasst machen?«
Fragend hob ihre Mutter den Kopf.
» Un -gnädig, un -geduldig, un -verträglich, un -ausstehlich«, begann Mika aufzuzählen.
»Keine Angst mein Kind. Das habe ich nicht vor«, warf ihre Mutter beruhigend ein. »Mach dich aber darauf gefasst, dass ich mich in nächster Zeit etwas mehr darum kümmern werde, was meine Tochter so bewegt. Und darum, dass sie sich endlich mit ihrem Vater verträgt. Denn eure Kabbeleien sind sehr anstrengend und sorgen bei mir für – wie du es nennst – ganz viele un-s .« Sie nahm Mika in den Arm. Diesmal für länger. »Vielleicht kann ich dann verhindern, dass du noch einmal für ein paar Jahre aus unserem Leben verschwindest. Und dich nur hie und da meldest«, flüsterte sie.
»Ähm . . . ich . . .«, stammelte Mika schon wieder.
Ihre Mutter schob sie von sich und strich ihr sanft eine Strähne aus der Stirn. »Ist schon gut«, sagte sie. »Ich wollte dich nur darauf vorbereiten, dass ich mich in Zukunft mehr einmischen werde. Ob es dir gefällt oder nicht.«
~*~*~*~
E rwartungsvoll schaute Mika auf das Display ihres Handys. Sie schüttelte es. Legte es an ihr Ohr. Nichts. Es schwieg. Sie war versucht, es auf den Boden zu werfen. Sollte es ruhig in tausend Stücke zerspringen. Wer brauchte schließlich ein Teil, das nicht funktionierte. Denn andernfalls hätte es schon längst geläutet.
Riiing machte es plötzlich laut, und das Telefon fiel Mika aus der Hand.
»Sorry«, nuschelte es neben ihr nur halb zerknirscht, als Mika ihr Handy wieder schüttelte. Diesmal hatte sie Angst, dass es tatsächlich kaputt sein könnte. Dann könnte Timea sie nicht erreichen. Wo sie doch versprochen hatte, dass sie sich melden würde. Irgendwann. Im Laufe des Tages.
Der junge Mann, der neben ihr bei dem Eiswagen gewartet hatte und der Schuld an dem Unfall war, grinste Mika schief an und nahm den Anruf entgegen. »Hey Süße, ich bin hier gleich dran.«
Die Süße schien ihm etwas Aufregendes ins Ohr zu flüstern, denn er wurde auf einmal knallrot. Er nickte ein paar Mal – als ob die Süße das sehen könnte – flüsterte »ich weiß, dass du kein Pistazieneis magst« – und legte auf. Nicht ohne einen Kuss in die Weiten der Atmosphäre zu hauchen und anschließend sein Smartphone voll cool in der Gesäßtasche verschwinden zu lassen.
Mika war neidisch. Nicht auf das Hightech-Telefon des Teenagers; für ihre Zwecke tat es auch ihr bereits in die Jahre gekommenes. Nein. Sie war neidisch, weil sie nicht wusste, ob Timea Pistazieneis mochte.
»Was darf’s sein?«, fragte der Eisverkäufer.
»Wie viele
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