Nerd Attack
zunächst alles nach einem echten Coup aus: Ursula von der Leyen (CDU), seinerzeit Familienministerin, hatte ein Gesetz gefordert und dann, gegen das Zögern und Widerstreben ihrer Kabinettskollegen aus den eigentlich zuständigen Ressorts Wirtschaft, Inneres und Justiz, auch durchgesetzt: Provider sollten verpflichtet werden, kinderpornografische Inhalte aus dem WWW zu filtern, die entsprechenden Sperrlisten würde das Bundeskriminalamt (BKA) führen. Wer eine einschlägige Seite aufrief, sollte ein Warnschild zu sehen bekommen. Ein wahltaktisch todsicheres Gesetz, zielte es doch auf einen ungemein konsensfähigen Feind: die Hersteller und Verbreiter von Kinderpornografie. Folgerichtig tat die Opposition erst gar nichts und gab dann kaum mehr als ein leises Wimmern von sich – um sich schließlich damit abzufinden, dass die Familienministerin als Bezwingerin der Kinderschänder würde Wahlkampf machen können.
Dann passierte das Unerhörte: Eine schnell wachsende Zahl von Menschen sprach sich offen und nicht anonym gegen die Filterpläne der Ministerin aus – am Ende waren es über 134 000, die eine entsprechende Petition unterzeichneten. Obwohl es doch gegen Kinderpornografie ging! In Berlin war man konsterniert. Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), damals Wirtschaftsminister, war so überrascht, dass ihm sogar der Fauxpas unterlief, die zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere zehntausend zählenden Unterzeichner der Petition, immerhin ja Wähler, vor laufender Kamera in die Nähe von Kinderschändern zu rücken.
Wie konnten diese Leute es wagen, einen Vorschlag abzulehnen, den ernstlich zu kritisieren nicht einmal die Opposition bereit gewesen war? Nichts fürchtet man in Berlin mehr, als selbst für einen Kinderschänderapologeten gehalten zu werden.
Eine Erklärung musste her. Der Redakteur Heinrich Wefing äußerte in der »Zeit« die Vermutung, man habe es bei den Unterzeichnern mit »Ideologen des Internet« zu tun, mit einer Gruppe, die »Ausnahmen von den Regeln« verlange, die für alle gelten: »Im Namen der Freiheit wird der Austritt aus dem Recht propagiert.« Tatsächlich wurde in der Petition mitnichten digitale Anarchie gefordert: »Kinder zu schützen und sowohl ihren Missbrauch als auch die Verbreitung von Kinderpornografie zu verhindern, stellen wir dabei absolut nicht infrage – im Gegenteil, es ist in unser aller Interesse«, war da zu lesen.
Aber darum ging es im Kern auch gar nicht. Wefing hatte durchaus recht, als er an anderer Stelle in seiner Polemik von einem »Kulturkampf« sprach, als er Vokabeln wie »Generationskonflikt« bemühte. Was der Streit ums Thema Netzfilter sichtbar machte, war eben jene Kluft, die Deutschland schon länger teilt: Die Einheimischen des Netzes, die Jüngeren, die habituellen Nutzer digitaler Technologie, wurden es langsam leid. Sie wollten nicht mehr einfach wortlos hinnehmen, dass immer wieder ungeniert in ihre Lebenswirklichkeit eingegriffen werden sollte. Und zwar ausgerechnet von Leuten, die gerade unter den Jüngeren vielfach als in digitalen Belangen ahnungslos wahrgenommen werden. Nicht zu Unrecht übrigens: Bis heute sind größeren Teilen aller deutschen Parteien die von Experten vorgebrachten Argumente gegen Netzsperren offensichtlich nicht bekannt. In privaten Gesprächen bringen Abgeordnete noch immer ihr Missfallen darüber zum Ausdruck, dass die Große Koalition mit dem Aussetzen des Gesetzes vor der »Netzgemeinde« eingeknickt sei. Auch nachdem die schwarz-gelbe Koalition das Gesetz endgültig beerdigt hatte, änderte sich an dieser Haltung nichts. So hat sich einmal mehr ein diffuses Gefühl breitgemacht, dass hier irgendwelche Libertären ihr Steckenpferd reiten und man sich gegen sie nicht habe durchsetzen können.
Das gilt übrigens quer durch die Parteien, nicht nur für die Konservativen. Matthias Güldner etwa, Fraktionsvorsitzender der Grünen in der bremischen Bürgerschaft, schrieb im Juli 2009 in einem Blog-Eintrag, der dann vom Onlineangebot der »Welt« übernommen wurde: »Wer Ego-Shooter für Unterhaltung, Facebook für reales Leben, wer Twitter für reale Politik hält, scheint davon auszugehen, dass Gewalt keine Opfer in der fordert. Anders kann die ignorante Argumentation gegen die Internetsperren gar nicht erklärt werden.« Diese Formulierung, die Verquickung von Dingen, die nun wirklich rein gar nichts miteinander zu tun haben, illustriert das Problem sehr schön: Hier wird, von einem Grünen-Politiker um die 50, ein
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