Nerd Attack
Kontrolle über Soft- und Hardware schon in den Achtzigern und Neunzigern gegeben, gäbe es heute kein Internet, wie wir es kennen. Die schöpferische Kraft, die YouTube und Wikipedia, Skype und Ebay, Freemail-Accounts, den kostenlosen, von Freiwilligen programmierten Browser Firefox, das freie Betriebssystem Linux und massenweise andere kostenfrei nutzbare Software hervorgebracht hat, kann sich nur auf offenen, unreglementierten Plattformen frei von staatlichen Überwachungsbegehrlichkeiten und manchmal sogar ohne kommerziellen Hintergedanken entfalten.
Bei Google, einem der vielen Kinder des generativen Internets, hat man das verstanden. Das von Google initiierte Handy-Betriebssystem Android ist eine offene Plattform, für die jeder Software schreiben und verkaufen darf. Beim Vertrieb über den offiziellen Android Market fallen jedoch auch wieder 30 Prozent Provision an. Der entscheidende Unterschied zu Apple: Android-Apps dürfen auch anderswo verkauft werden. Als Nutzer muss man Google nur seine Daten schenken, um ein aktuelles Android-Handy richtig nutzen zu können. Am besten funktionieren diese tragbaren Mini-Computer, wenn man einen Google-Mail-Account und einen Google-Kalender hat. Damit allerdings unterliegt man eben nicht nur dem Zugriff des Suchmaschinenkonzerns, sondern im Zweifelsfall auch dem der US-Sicherheitsbehörden.
Die vergleichsweise offene Google-Philosophie, die näher an den Gründungsgedanken des Internets als Ganzem ist als das weitgehend geschlossene, kontrollierte Modell von Apple, scheint sich durchzusetzen: Im Frühjahr 2011 überholten Android-Handys die iPhones erstmals, was die Marktanteile angeht. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Herstellern, die ihre Geräte mit dem von Google geförderten offenen Betriebssystem bestücken. Die Vorherrschaft des iPhones im Markt für Internet-Telefone geht zu Ende. Was nichts daran ändert, dass beide Systeme, das von Apple wie das von Google, den Nutzer stärker an einen bestimmten Konzern binden, als das im stationären Internet jemals der Fall war.
Das mobile Internet unterscheidet sich bereits jetzt in einem weiteren entscheidenden Punkt vom PC-dominierten Netz: Handys und andere Mobilcomputer sind eben keine offenen Plattformen, was die Hardware angeht. Die Miniaturisierung setzt dem Prinzip der freien Gestaltung enge Grenzen, das Tabula-rasa-Prinzip hat sich für die Miniaturcomputer nicht durchsetzen können aus einem praktischen Grund: In ein Mobiltelefon kann man nicht mehr einfach eine neue Festplatte oder einen schnelleren Prozessor einbauen. Zwar gibt es einige wenige Ansätze für sogenannte Open-Source-Handys, aber das sind extreme Nischenprodukte für echte Liebhaber und Bastler.
An all diesen Entwicklungen sind wir selbst schuld – schließlich kaufen und benutzen wir Geräte, deren Funktionsumfang absichtlich und gezielt eingeschränkt wird, die die Obhut ihrer Schöpfer nie ganz verlassen, die uns nie ganz gehören. Wir verzichten leichtfertig auf das Tabula-rasa-Prinzip, vielleicht, weil uns gar nicht klar ist, was wir eigentlich daran haben. Das ist die eine große Gefahr für das schöpferische Chaos und die kreative Freiheit, die der Computer und das Internet uns gebracht haben. Eine andere ist die Unkenntnis und Kurzsichtigkeit deutscher Spitzenpolitiker.
Kapitel 13
Digitale Grabenkämpfe
Im Sommer 2007, wenige Monate bevor das Gesetz zur vorsorglichen Speicherung aller Internet- und Telefonverbindungsdaten im Bundestag beschlossen wurde, befragten die »Kinderreporter« des ZDF-Morgenmagazins Bundestagsabgeordnete nach ihren Erfahrungen mit der digitalen Welt. Auf die Bitte, doch mal ein »paar verschiedene Browser« zu nennen, gaben Spitzenpolitiker folgende Antworten:
Peter Struck, damals SPD-Fraktionsvorsitzender: »Weiß ich nicht.« Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen: »Ich weiß nur, dass es Leute gibt, die da so ein Programm entwickelt haben, wo man mit einzelnen Fundwörtern was finden kann. Aber ich mach’ das nie.«
Brigitte Zypries, SPD, damals Bundesjustizministerin und somit für das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zuständig: »Browser, was sind jetzt nochmal Browser?«
Die Überraschung auf den Gesichtern der politischen Spitzenkräfte Berlins war kaum zu übersehen im Sommer 2009. Etwas Unerhörtes war passiert. Eine neue politisch-gesellschaftliche Frontlinie war sichtbar geworden, eine, die das Klima in diesem Land auf Jahre hinaus prägen könnte.
Dabei sah
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