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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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keinen Grund zur Beanstandung.
    Im gleichen Beitrag verbreitete die »Panorama«-Redaktion die Behauptung, in »Grand Theft Auto: San Andreas« gewinne, »wer hier möglichst viele Frauen vergewaltigt«. Ein Spiel, in dem Vergewaltigungen möglich sind oder gar belohnt werden, gibt es auf dem deutschen Markt nicht. Gewaltverherrlichende Medien sind hierzulande verboten, und es sind auch schon Spiele aus genau diesem Grund von Richtern aus dem Verkehr gezogen worden. Bei vielen der Menschen, die in Deutschland Computer- und Videospiele mögen – und das sind einer aktuellen Studie zufolge ein Drittel aller Deutschen über 14, 80 Prozent aller Teenager, 40 Prozent aller Deutschen zwischen 30 und 39 –, hat sich inzwischen die Gewissheit festgesetzt, dass man in diesem Land über ihr Hobby ungestraft so viele Lügen verbreiten kann, wie man möchte. Und das betrifft die Medien ebenso wie die Politik. Es gibt bis heute hochrangige deutsche Volksvertreter, die das Märchen von den Kettensägenverstümmelungen und die Geschichte von den Vergewaltigungsspielen immer wieder erzählen, wenn sich die Gelegenheit bietet.
    Nach dem Freispruch durch den Rundfunkrat wurde Dittmayer, der selbst eine Beschwerde an die »Panorama«-Redaktion gerichtet hatte, aktiv und schnitt seine private Medienkritik zusammen. Der Clip machte ihn zu einem kleinen Helden der deutschen Computerspielerszene. Er betreibt heute ein populäres Blog namens »Stigma Videospiele«, das verzerrende Berichte und Entlastendes über Computerspiele und ihre Auswirkungen sammelt und kommentiert. Man kann über Computer- und Videospiele durchaus geteilter Meinung sein, viele sind schlecht oder schlicht dämlich. Gerade im Ego-Shooter-Genre gibt es eine Vielzahl von Titeln, die mit ihrem dumpfen Militarismus wirken wie interaktive Werbeprospekte der amerikanischen Armee (die bei ihrer Entwicklung in der Regel Berater zur Verfügung stellt). Doch auch Videospieler haben ein Recht darauf, in gebührenfinanzierten Informationssendungen nicht als Psychopathen dargestellt zu werden, die über Leichenschändungen lachen, mit Vergnügen virtuelle Opfer verstümmeln und mit Massenvergewaltigungen nach neuen Highscores streben. Der mediale Mainstream aber muss sich erst langsam daran gewöhnen, dass es da plötzlich durchaus artikulierte Menschen gibt, die es wagen zu widersprechen. Die Petitionen anstrengen, Beschwerdebriefe schreiben, sogar Demonstrationen organisieren.
    Bis vor nicht allzu langer Zeit nämlich waren Angst machende Beiträge über Computerspiele im deutschen Fernsehen eine sichere Sache: Das öffentlich-rechtliche Publikum, das im Schnitt 60 Jahre alt ist, goutierte ein bisschen angenehmes Gruseln über die Freizeitbeschäftigungen der Jugend von heute und interessierte sich dabei augenscheinlich nicht so sehr für die journalistische Genauigkeit. Diese Zeiten sind vorbei : Heute werden Beiträge über Computer- und Videospiele mit Argusaugen beobachtet, online analysiert und diskutiert. Das ändert nichts daran, dass immer noch viel Unsinn behauptet wird. Matthias Dittmayer hat mittlerweile ein Promotionsstudium in Jura aufgenommen, katalogisiert aber weiterhin Artikel und Beiträge zum Thema und stößt immer wieder auf die gleichen Mythen. Zum Beispiel den, dass das US-Militär Ego-Shooter entwickelt habe, um Soldaten die Tötungshemmung abzutrainieren. Das ist nachweislich falsch, es würde auch gar nicht funktionieren, denn reales Töten echter Menschen mit einer realen Waffe lässt sich am Monitor mit der Maus in der Hand nicht simulieren. Trotzdem, so Dittmayer, »finde ich alle drei Monate wieder in irgendeinem Zeitungsartikel diese Aussage«. Er habe »geglaubt, es würde mit der Zeit besser werden«, sagt Dittmayer, aber bislang hat er noch keinen Grund gesehen, »Stigma Videospiele« wieder einzustellen. Jeden Tag besuchen die Seite etwa 2500 Leser. Er selbst spielt nur noch einmal pro Woche, gemeinsam mit Kommilitonen. Keine Ego-Shooter, sondern Strategiespiele.

Immigranten machen Politik für Einheimische
     
    Es gibt in Deutschland eine gebildete, gut informierte, zunehmend frustrierte Minderheit, die überzeugt ist: Das Land wird regiert, die öffentliche Meinung hierzulande dominiert von Menschen, für die das Internet eine fremde Welt und Computerspiele ein potenziell gefährlicher Zeitvertreib ist. Von Menschen, die immer noch stolz auf die eigene Fähigkeit sind, SMS zu verschicken. Von digitalen Immigranten eben.
    Gleichzeitig leben

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