Nerd Attack
Generationenkonflikt diagnostiziert, in dem sich der Autor selbstverständlich auf der richtigen Seite wähnt. Die Sachargumente, die jenseits aller Ideologie gegen das Sperrgesetz sprachen, deutete Güldner als Versuch, »knallhart« die »Definitionsmacht in Zeiten der Virtualisierung der Welt« an sich zu reißen. Eines der Argumente, nämlich die Netzsperren seien kinderleicht zu umgehen, kommentierte Güldner lediglich mit den Worten »da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert«. Um den Rundumschlag zu vollenden, erklärte er auch noch die von seiner eigenen Partei sonst so häufig gepriesenen Instrumente der direkten Demokratie für wertlos, ja schädlich: Wer dem Weltbild der Gegner des Gesetzes widerspreche, werde »mit Massenpetitionen per Mausklick weggebissen«. Güldner wurde daraufhin vom Grünen-Bundesvorstand zurückgepfiffen und öffentlich gerügt, es gab einige Parteiaustritte und Kritik aus der Jugendorganisation der Grünen. Eins aber hatte der Ausbruch gezeigt: Manche unter Deutschlands Alternativen betrachten digitale Technologie immer noch mit dem gleichen Argwohn wie damals in den frühen Achtzigern, als der PC des jungen Fraktionsmitarbeiters aus Angst vor seiner »arbeitsplatzzerstörenden Wirkung« wieder nach Hause geschickt wurde.
Der tausendfache Widerspruch markierte einen neuen Rekord, aber wer genau hinsah, konnte die gesellschaftliche Spaltung auch schon vorher sehen. Ob beim Thema Computerspiele, bei der Vorratsdatenspeicherung, bei den Debatten um die Online-Durchsuchung: Immer wieder gab es Protest und Streit und immer wieder zwischen den gleichen gesellschaftlichen Gruppen. Der Konflikt zieht sich auch durch die Feuilletons und Talkshows der Republik: Er schlägt sich nieder in den Debatten über die katastrophalen Folgen der Digitalisierung für die Musikbranche, über die Probleme der Zeitungslandschaft, über die angeblich verblödenden Effekte von Handys, YouTube, Facebook und Videospielen.
Die Debatte über »das Internet« wird auf einem zum Teil erschreckenden Niveau geführt. Ein Beispiel: Der Redakteur Adam Soboczynski schrieb im Frühjahr 2009 einen Artikel für die »Zeit«, der mit »Das Netz als Feind« überschrieben war, im Kern eine wortreiche Publikumsbeschimpfung, in der Internetnutzern pauschal »Anti-Intellektualismus« und »Bildungsfeindlichkeit« vorgeworfen wurden. Erwartungsgemäß liefen zu der im Internet lesbaren Version des Artikels teils höflich kritische, teils lobende und teils hämische Kommentare auf.
Andernorts waren die Reaktionen deftiger, einige der Beschimpften kritisierten den Autor in Blog-Einträgen mit deutlichen Worten. »Zeit«-Feuilletonchef Jens Jessen sprang seinem Autor deshalb in einer folgenden Ausgabe der Zeitung bei: In den, Jessen zufolge, »wütenden Reaktionen« auf Soboczynskis Artikel zeige sich »Netzfanatismus«, »ein egalitärer Relativismus, der kein Mehr- oder Besserwissen dulden kann«, sogar »E-Bolschewismus« wollte Jessen ausgemacht haben. Schlimmer noch, das Ganze sei ein Symptom der Verdummung: »Die Pisa-Katastrophe, überall sonst beklagt, ist im Netz zur Norm erhoben worden.« Die habituellen Internetnutzer meiner Generation, die diese Worte lasen, schüttelten den Kopfüber so viel als Arroganz verkleidete Ignoranz.
Doch diese Art von Pauschalurteil ist in deutschen Blättern in den vergangenen Jahren beinahe zur Regel geworden. »Das Internet verkommt zum Debattierclub von Anonymen, Ahnungslosen und Denunzianten« (Bernd Graff, »Süddeutsche Zeitung«, unter der Überschrift »Die neuen Idiotae«), »Internet-Blogs zersetzen das informierte und unabhängige Urteil« (Josef Schnelle, »Berliner Zeitung«). Die »Zeit«-Redakteurin und Buchautorin Susanne Gaschke diagnostizierte in einem Beitrag für die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung« eine »Netzbewegung« mit »hermetischem Vokabular«, die andere ausschließen wolle und »einen gewissen Fanatismus, eine Kompromisslosigkeit im Diskurs« an den Tag lege. Bei Jens Jessen in der »Zeit« wurde das Internet sogar zur handelnden Person: »Das Internet, bevor es großmäulig von E-Democracy redet, muss erst einmal eine angstfreie Gesellschaft in seinen Räumen erlauben.«
All diese Thesen, Behauptungen und vermeintlichen Beobachtungen über das Internet als solches sind nicht falsch im engeren Sinne: Sie sind schlicht sinnlos. Ebenso sinnlos wie die Versicherung, Papier und Tinte seien in Wahrheit gar keine Kraft des Guten. Ebenso
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