Nerd Attack
beispielsweise beherzten Demonstrationen dieser Schwächen durch CCC-Mitglieder. Clubsprecherin Constanze Kurz, Informatikerin an der Technischen Universität Berlin, war als Sachverständige geladen, als vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Vorratsdatenspeicherung verhandelt wurde. Sie wird regelmäßig zu politischen Gesprächsrunden fast aller Parteien gebeten, sie ist Mitglied der 2010 eingesetzen Enquetekommission »Internet und digitale Gesellschaft« des deutschen Bundestags und schreibt inzwischen, auf Initiative von Frank Schirrmacher, eine Kolumne für die konservative »Frankfurter Allgemeine Zeitung«. Familienministerin Christina Schröder, CDU, selbst ein Mitglied der Generation C64 und eifrige Twitter-Nutzerin, bemüht sich um eine Annäherung an die »Netzgemeinde«. In einem »Dialog Internet« will sie mit Vertretern der beteiligten Branchen, mit Bürgerrechtlern und Fachleuten erörtern, wie der Schutz des Wohles von Kindern und Jugendlichen im Netz gewährleistet werden kann. Und auch Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hat eine Reihe von Dialogveranstaltungen zum Thema Netzpolitik ins Leben gerufen.
De facto jedoch hat sich an der Situation nichts verändert: Zwischen weiten Teilen der deutschen Politik und denen, für die das Internet eine Selbstverständlichkeit ist, herrscht nach wie vor eine bezeichnende Sprachlosigkeit. Vielleicht liegt das, soweit es die Politik betrifft, an der insgeheim gewonnenen, aber natürlich nie laut formulierten Erkenntnis, dass man versagt hat in Sachen Internet. Dass Deutschland heute ein Entwicklungsland ist, was seine Präsenz und Relevanz im weltweiten Netz angeht. Weil man sich viele Jahre lang in tapferem Ignorieren des digitalen Wandels geübt hat, um dann, als das Internet nicht mehr zu ignorieren war, als Erstes darüber nachzudenken, wie man dieses Monstrum nun zähmen und wie man es gleichzeitig als Überwachungs- und Kontrollinstrument in Stellung bringen könnte.
Im Herbst 2010 wurde bekannt, dass Innenminister Thomas de Maizière nach all den Gesprächen mit Vertretern des CCC und anderer digitaler Bürgerrechtsorganisationen die umstrittene heimliche Online-Durchsuchung von Festplatten durch staatlich eingeschleuste Schadsoftware, den sogenannten Bundestrojaner, verstärkt einsetzen wolle, und zwar auch in Fällen normaler Strafverfolgung. Bislang war das Instrument auf die präventive Abwehr schwerer Terrorgefahren durch das Bundeskriminalamt beschränkt. Das heimliche Schnüffeln in einem extrem privaten Bereich, den eine Festplatte im Zeitalter der Digitalisierung nun einmal darstellt, würde für akzeptabel erklärt. Der private Computer wäre demnach weniger privat als die private Wohnung – denn die darf im Normalfall nur durchsucht werden, wenn der Bewohner anwesend ist. Außerdem sollen Polizei und Verfassungsschutz das Recht erhalten, verschlüsselte Kommunikation über das Internet, unter anderem Internet-Telefongespräche, abzuhören. Das Netz soll also zur Ausweitung staatlicher Gewalt instrumentalisiert werden. Der Streit innerhalb der schwarz-gelben Koalition über die Zukunft dieser Pläne dauert an.
Ähnlich verhält es sich mit der Vorratsdatenspeicherung: Nach dem Erfolg der Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz, das Provider verpflichtet, alle Internetverbindungsdaten zu speichern, wird nun erneut offensiv eine sofortige Wiedereinführung der gigantischen Datenerfassung gefordert. Die Vorratsdatenspeicherung, um das noch einmal deutlich zu sagen, ist in etwa so, als stelle man prophylaktisch an allen deutschen Straßenkreuzungen Kameras auf, um vollständig zu erfassen, wer wann wo vorbeigefahren ist. Es könnte ja sein, dass mal ein Verbrechen passiert.
Das ist die eine Seite der neuen Internetpolitik: Man hat sich damit abgefunden, dass dieses Werkzeug nun zur Verfügung steht, also kann man es doch wenigstens in größtmöglichem Ausmaß dazu einsetzen, die eigenen Bürger zu überwachen. Die andere, für Deutschlands Zukunft womöglich noch problematischere Seite ist jedoch die, für die etwa Kulturstaatsminister Bernd Neumann steht. Er ist ein Mann der alten analogen Welt, er bekennt das auch gerne freimütig, obwohl in sein Ressort zum Beispiel die Verantwortlichkeit für den Deutschen Computerspielpreis fällt – den Neumann offenkundig wenig schätzt. Wesentlich mehr am Herzen liegt ihm die »Nationale Initiative Printmedien«, die wohl einzige mit staatlicher Unterstützung
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