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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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ausgestattete Aktion zur Rettung eines Datenträgers. Bernd Neumann ist ein Freund des Wortes, aber nicht des geschriebenen, sondern des gedruckten. Aus einer Pressemitteilung des Kulturstaatsministers aus dem September 2010: »Junge Menschen lesen heute immer weniger und Zeitschriften. Im Zentrum ihrer Mediennutzung stehen elektronische Angebote. Mit dieser bereits seit langem zu beobachtenden Entwicklung geht ein signifikanter Rückgang des Interesses von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen an politischen und gesellschaftlichen Fragen einher. Das ist der Demokratie langfristig abträglich.«
    Die erste Behauptung stimmt: Das Internet ist für Menschen unter 20 das Informationsmedium Nummer eins. Es ist ja auch besser als jedes andere Medium für diesen Zweck geeignet – aber das behagt Neumann nicht. Den »signifikanten Rückgang des Interesses«, das junge Menschen heute der Politik entgegenbringen, kausal auf ihre veränderte Mediennutzung zurückzuführen, ist eine steile und gänzlich unbelegte These. Das Wort »Politikverdrossenheit« wurde von der Gesellschaft für deutsche Sprache 1992 zum »Wort des Jahres« gekürt – zu einer Zeit also, als der Großteil der Jugend von heute noch gar nicht geboren war (und ein Jahr bevor der erste grafische Webbrowser kam).
    Vielleicht ist also doch eher die Politik schuld an der Politikverdrossenheit? Vielleicht liegt es sogar an Politikern wie Neumann selbst, die dieser Jugend in regelmäßigen Abständen Dummheit, Desinteresse und mangelnde Bildung vorwerfen. Ein Neumann-Zitat aus dem Jahr 2006, auch wieder im Zusammenhang mit der »nationalen Initiative«, die den Datenträger Papier vor dem Fortschritt retten soll: »Ich sehe dies in direktem Zusammenhang zu sinkender Lesefähigkeit und zurückgehendem Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen.« Die Lesefähigkeit deutscher Schüler sinkt mitnichten. Die Punktzahlen im Bereich »Lesekompetenz« der Pisastudie für die Jahre 2000, 2003 und 2009 sind: 484, 491 und 497. Das ist kein rasanter Anstieg, aber beim besten Willen auch keine Abnahme. Zumindest in Deutschland scheint der Niedergang der Lesekultur noch nicht im Gange zu sein. Auch die Umsätze der Buchverlage steigen Jahr für Jahr. 2009 wurden, Zahlen von PriceWaterhouseCoopers und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zufolge, hierzulande über 600 Millionen Euro mehr mit dem Verkauf von Büchern eingenommen als 2003; der Umsatz betrug fast 9,7 Milliarden Euro, und bis 2014 prognostiziert PriceWaterhouseCoopers einen Anstieg auf 10,3 Milliarden.
    Eine Zahl scheint tatsächlich leicht zurückzugehen: die der absoluten Menge verkaufter Bücher. 2003 waren es laut GfK 381 Millionen, 2006 nur noch knapp 379 Millionen. Auch hat die Zahl der Menschen, die hierzulande Bücher kaufen, eine Weile kontinuierlich abgenommen, aber dieser Trend begann, glaubt man den Daten der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), schon Mitte der Neunziger – und endete 2003. Seitdem nimmt die Zahl wieder zu. Mit dem Internet kann diese Veränderung also kaum zu tun haben. Im Gegenteil. Unter denen, die in Umfragen bekunden, dass sie an Büchern interessiert sind, finden sich besonders viele Internetnutzer: PriceWaterhouseCoopers zufolge lasen 2007 »Internet-Intensivnutzer« häufiger und mehr als Offliner. Diese Zahlen belegen eins sehr deutlich: Das Interesse der Deutschen an Büchern lässt nicht nach, schon gar nicht wegen des Internets.
    Aber Fakten müssen ja nicht unbedingt eine Rolle spielen, wenn sich die Gefühle der Nostalgiker Bahn brechen. Noch immer geht hier das Unverständnis für das Medium und seine Möglichkeiten mit leiser Verachtung für die einher, die es selbstverständlich nutzen.
    Tatsächlich ist der digitale Graben in Deutschland so breit und tief wie eh und je. An der grundsätzlichen Problematik, dass ein großer Teil der Menschen, die in diesem Land das Sagen haben, ob in der Politik, der Wirtschaft oder den Medien, ein mindestens gespaltenes Verhältnis zu digitaler Technologie und ihren Auswirkungen besitzt, hat sich nichts geändert. Es gilt heute allerdings nicht mehr als opportun und akzeptabel, sich offen als prinzipieller Feind der digitalen Medien zu outen. Niemand möchte schließlich als kulturpessimistisch oder gar reaktionär gelten. Die nach wie vor vorhandenen grundlegenden Vorbehalte der Datenträgernostalgiker, Dotcom-Blasen-Geprellten und Kulturpessimisten zeigen sich nun in neuem Gewand. Sie verkleiden sich als gut

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