Nerd Attack
»The New Yorker«. Die erinnere ihn an Schach: »Viele Regeln, kein Zufall und ein sehr schwieriges Problem als Aufgabe«. 1987 bekam Assange sein erstes Modem, wenige Jahre später gehörte er einer kleinen Gruppe australischer Hacker an, die sich, wie Karl Koch und die VAX Busters in Deutschland, wie die Mitglieder der Legion of Doom und die Masters of Deception in den USA, wie andere Hacker rund um den Globus, in die Großrechneranlagen von Telekom-Unternehmen oder Forschungseinrichtungen hackten. Schon damals fühlten sich die Australier einer Art Internationale der Hacker zugehörig. Beschrieben wird dieser Kreis unter anderem in Suelette Dreyfus’ Buch »Underground. Die Geschichte der frühen Hacker-Elite«, detailliert nachzulesen ist die Geschichte von Assange und seiner Enthüllungsplattform auch im SPIEGEL-Buch »Staatsfeind WikiLeaks« von Holger Stark und Marcel Rosenbach.
Assange hat bei der Recherche für Dreyfus’ »Tatsachenroman« selbst geholfen und wird auch als Co-Autor geführt – schon in den Neunzigern war dem späteren WikiLeaks-Gründer augenscheinlich sehr daran gelegen, an seiner eigenen Legende mitzuarbeiten. Dreyfus zufolge hatten die Hacker aus Melbourne Kontakte nach Deutschland und in die USA. Viele der jungen Männer, die in den Kapiteln vier und fünf dieses Buches prominente Rollen einnehmen, gehörten zum erweiterten Bekanntenkreis der australischen »Cypherpunks«, zu denen sich auch Assange zählte. Er selbst sagte später über diese Zeit: »Wir waren schlaue, empfindsame Kids, die in die dominante Subkultur nicht hineinpassten und all jene, die das taten, als hoffnungslose Holzköpfe geißelten.« Der Mann, der mit WikiLeaks später unter anderem die Regierung der Vereinigten Staaten herausfordern sollte, verdiente sich seine ersten Sporen im Kreis der internationalen Computerjockeys, verkehrte mit Hackern und Phreakern, übte sich in Social Engineering und dem Knacken von Codes.
Einer der Hacker aus dieser in und um Melbourne entstandenen Szene attackierte unter anderem das System, das Clifford Stoll beaufsichtigte, der Netzwerkadministrator, der seine Jagd auf Karl Kochs Komplizen Urmel publikumswirksam in seinem Buch »The Cuckoo’s Egg« verarbeitet hatte. Dem Technik-Korrespondenten der »New York Times« erklärte der Australier seinen Angriff auf Stoll damals mit einem Akt internationaler Hacker-Solidarität: »Ich war wütend darüber, wie er viele Leute beschrieb. Er schwafelte davon, alle Hacker zu hassen, und vermittelte eine ziemlich einseitige Sicht davon, wer Hacker sind.« Es existierte damals bereits in der Hacker-Szene eine Art weltumspannender Verschwörergeist und das Gefühl, einer geheimen Elite anzugehören.
Die Gruppe, mit der Assange, der sich damals »Mendax« (Lügner) nannte, im Kontakt stand, hatte wiederum Verbindungen zur Legion of Doom und den Masters of Deception, den beiden großen Hacker-Truppen, die Anfang der Neunziger die Szene in den USA dominierten. Zu deren Gründungsmitgliedern gehörten auch die jugendlichen Hacker, deren Schicksal John Perry Barlow zur Gründung der Electronic Frontier Foundation inspirierte. Man versteht die Motivationen des WikiLeaks-Gründers besser, wenn man sich vor Augen führt, in welchem intellektuellen und ideologischen Umfeld er sich als Teenager bewegte. Dreyfus beschreibt die australische Gruppe in dem Dokumentarfilm »In the Realm of the Hackers« (Im Reich der Hacker), der auf ihrem Buch beruht, mit Worten, die ebenso gut auf Karl Koch und seine Mitverschwörer passen würden: Durch den Kalten Krieg seien die jungen Australier so desillusioniert, die Möglichkeit einer atomaren Vernichtung jederzeit so präsent gewesen, dass ihnen offizielle Regeln und Beschränkungen lächerlich, überholt und willkürlich erschienen seien.
Wie in Deutschland und den USA begannen Behörden und Strafverfolger, sich Ende der achtziger Jahre auch in Australien erstmals intensiv für die Aktivitäten der jungen Datenreisenden zu interessieren. In den Neunzigern wurden dort gleich mehrere Prozesse gegen Hacker aus dem Melbourner Zirkel angestrengt. Assange wurde 1991 verhaftet und 30 unterschiedlicher Computerstraftaten angeklagt. Er landete vor Gericht, kam jedoch mit einer moderaten Geldstrafe davon.
Das Programm der Enthüllungsplattform WikiLeaks setzt die Hacker-Ethik in ihrer radikalsten Form um: Wenn alles öffentlich, jede Information verfügbar ist, so interpretiert Julian Assange Steven Levys Regel Nummer
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