Nerd Attack
gemeinte Mahnungen, Warnungen vor Informationsüberschuss, vor zu viel Kommunikation, vor allzu großer Einfachheit, was den Zugang zu Wissen angeht. Oder als gespielte, kokettierende, demonstrative Inkompetenz: »Mach du das mal, ich weiß ja nicht mal, wie man einen Computer einschaltet.«
Am unangenehmsten aber ist diese fröhlich zur Schau getragene Ignoranz, wenn sie als Arroganz daherkommt, und diese Haltung ist unter Deutschlands Herrschenden nach wie vor verbreitet. Im Februar 2010 trat die Initiatorin der Petition gegen das Internetsperrgesetz, die zu diesem Zeitpunkt 30-jährige Franziska Heine, vor dem Petitionsausschuss des Bundestags auf. Sie hatte über 134 000 Menschen dazu gebracht, sich namentlich dazu zu bekennen, dass sie das geplante Gesetz in dieser Form aus guten Gründen für keine gute Idee hielten. Sie war öffentlich angegriffen und diffamiert worden, hatte viele Stunden ihrer Freizeit in politische Arbeit investiert, obwohl sie keiner Partei angehörte, angetrieben nicht von Karrierestreben, sondern von der Überzeugung, dass hier eine gefährliche Entwicklung im Gange war, die aufgehalten werden musste. Sie hatte, um es mit Bernd Neumann zu sagen, großes »Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen« demonstriert, hatte sich verhalten wie eine mustergültige Demokratin, eine, von deren Sorte dieses Land gut noch ein paar mehr brauchen könnte. Aber als Heine sich vor dem Petitionsausschuss bei einer Antwort verhaspelte, witzelte ein Unionsabgeordneter mit boshaftem Unterton: »Vielleicht sollten wir chatten.«
Kapitel 14
Infokrieger und Cyber-Anarchisten
Am 4. September 2010 wurde der US-amerikanische Weltkriegsveteran William J. Lashua 90 Jahre alt. Einige Tage zuvor hatte ein wohlmeinender Verwandter in einem lokalen Lebensmittelgeschäft ein kleines Plakat aufgehängt. »Gesucht: Leute für seine Geburtstagsparty« stand darauf, zusammen mit einem Foto des Jubilars, Datum, Uhrzeit und Ort. Jemand fotografierte den Aufruf und schlug im als anarchisch bis aggressiv berüchtigten Internetforum 4Chan vor, William Lashua »einen Tag lang zum glücklichsten Menschen der Welt zu machen«. Ein Enkel bekam Wind von dem Aufruf – und Angst. »Bitte macht hieraus keine Internet-Scheißshow«, flehte er in einem anderen Web-Forum. Zum Geburtstag trafen in Lashuas Haus 50 Blumensträuße, 20 Kuchen, unzählige Glückwunschkarten und Postsäcke voller Geschenke aus aller Welt ein, fünf 4Chan-Nutzer kamen persönlich. Lashuas Enkel bedankte sich online überschwänglich für die »Liebe, den Respekt und die Großzügigkeit« aus dem Netz. Ein 4Chan-Nutzer bastelte eine Bilddatei mit dem Foto des alten Herren und der Unterschrift: »Wir sind Anonymous. Wir sind Legion. Wir vergessen nie ... deinen Geburtstag.«
Julian Assanges erster Computer war ein Commodore 64. Auch in Australien war der Brotkasten Mitte der achtziger Jahre ein Objekt der Begierde, auch dort wurden Spiele getauscht und kopiert, auch dort pilgerten Jungs in Elektronikgeschäfte, um sich an den braunen Tasten zu versuchen. Julian Assange war, 20 Jahre bevor er WikiLeaks gründete, auch so einer, wenngleich das Programmieren ihm von Anfang an wichtiger war als das Spielen. Genauer: Die Kontrolle über den Rechner zu erlangen, etwas Neues auf der Tabula rasa zu schaffen, schien ihm eine deutlich spannendere Beschäftigung, als »Wizard of Wor« oder »Jumpman Junior« zu spielen. Damit machte er immer weiter – bis er schließlich ein System aufgebaut hatte, das die theoretisch grenzenlose Verfügbarkeit digital vorliegenden Materials in ein politisches Werkzeug, manche finden: eine Waffe, verwandelte.
Assange überquerte von einem der vielen Häuser aus, die er mit seiner Mutter im Lauf seiner Jugend bewohnte, regelmäßig die Straße, um auf der anderen Seite ein Fachgeschäft für Elektronik zu besuchen. Dort übte er den Umgang mit dem Rechner – so lange, bis seine Mutter ihm schließlich einen eigenen 64er kaufte. Zum Ausgleich zog die Kleinstfamilie, bestehend aus Julian, seinem Halbbruder und seiner Mutter, in ein preiswerteres Domizil um. Das ständige Umziehen gehörte zu ihrem Lebensstil wie Lebensmitteleinkäufe zu dem anderer Familien – angeblich erlebte Julian schon vor seinem 14. Geburtstag 30 Umzüge. Von nun an aber war der Rechner immer mit dabei.
Es sei die »Strenge der Interaktion« mit dem Computer gewesen, die ihn angezogen habe, sagte Assange im Jahr 2010 einem Reporter der Zeitschrift
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