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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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landete vor dem Staatsanwalt, weil sich in seinem lokalen Postamt säckeweise an ihn adressierte Sendungen mit allzu glatten Briefmarken angesammelt hatten.
    Als technische Visitenkarten der Gruppen wurden die Intros und Demos immer ausgefeilter. Man habe die Grußbotschaften anderer Gruppen »immer auseinandergenommen, um zu sehen, wie die das gemacht hatten«, sagt Teut Weidemann. »Wir haben dadurch unheimlich viel über die Hardware gelernt.« Tatsächlich beherrschten insbesondere europäische Democoder ihren C64 bald so gut, dass sie Dinge über den Rechner herausfanden, die nicht einmal Commodores Ingenieuren bewusst waren. Sie entdeckten etwa einen vierten, undokumentierten Kanal des Soundchips, mit dem sich Rauschen erzeugen ließ und somit auch Schlagzeugklänge. Es gelang ihnen, den eigentlich unzugänglichen Rahmen des C64-Bildschirms mit beweglicher Grafik zu füllen und außerdem den festgelegten Zeilenabstand aufzubrechen und so hüpfende oder sich über die Mattscheibe schlängelnde Objekte zu zaubern.
    Star-Cracker Mitch von Eagle Soft fiel auf die Frage, was das Größte am C64 gewesen sei, kein Spiel ein, sondern »was die Europäer aus den SID- und VIC-II-Chips [des Commodore 64] herausholten. Fantastische Demos, fantastische Grafik«. Commodore-Ingenieur Bil Herd erklärte dem »Freax«-Autor in einem Interview, die Entwickler des Konzerns seien »überrascht« gewesen, was die Hobby-Hacker aus Europa in ihrer Freizeit aus dem C64 herauskitzelten.
    Die »Demoscene« gibt es noch heute. Die Computerkünstler haben sich von den Kopierschutzknackern allerdings abgenabelt. »Demoscener« legen nun Wert darauf, nicht mit Crackern in einen Topf geworfen zu werden. Viele Demoprogrammierer gelten heute als visionäre Computerkünstler, ihre Arbeiten finden den Weg in Ausstellungen, sie versammeln sich zu internationalen Tagungen, um ihre neuesten Werke zu präsentieren und Wettbewerbe abzuhalten.
    Branchengurus wie der »Sims«-Erfinder Will Wright preisen ihre Verdienste um eine sparsame, intelligente Art der Programmierung, mit deren Hilfe man aus fast nichts unglaublich viel schaffen könne. Wright heuerte sogar Demoprogrammierer aus Skandinavien an, um sie in die Entwicklung seines Evolutions-Simulationsspiels »Spore« einzubinden.
    Dass die Szene bis heute nahezu unglaubliche Leistungen hervorbringt, demonstrierten Mitglieder der Hamburger Demotruppe »Farbrausch« beispielsweise, als sie unter dem Projektnamen ».theprodukkt« einen aufwändig anmutenden Ego-Shooter namens ».kkrieger« entwickelten: ein Computerspiel mit hochauflösender Grafik, mit Lichteffekten, Animationen und Musik, in dem der Spieler sich durch Gebäude voller glänzender Roboterspinnen kämpfen muss.
    Aktuelle Ego-Shooter sind in der Regel mehrere Gigabyte groß – und damit zehntausendfach umfangreicher als ».kkrieger«. Die Datei, die den Shooter der Democoder spielbar macht, benötigt hingegen lediglich 96 Kilobyte Speicherplatz, gerade so viel wie ein normales Word-Dokument. Im Jahr 2006 wurde das Team mit dem Deutschen Entwicklerpreis ausgezeichnet.

Das Proto-Internet
     
    Das Internet gab es schon in den achtziger Jahren, aber Zugang zu ihm hatten nur wenige Auserwählte, die in Hochschulen und Militäreinrichtungen arbeiteten. Auch andere militärische und kommerzielle Datenverbindungen und Knotenpunkte existierten bereits, Forschungseinrichtungen und Unternehmen begannen, ihre Computersysteme zu vernetzen. Seit dem Ende der Siebziger hatte sich jedoch parallel dazu etwas entwickelt, das einer Frühform des Mitmach-Internets von heute sehr viel näher ist als das militärisch-wissenschaftliche Netz der Achtziger. 1978 hatten zwei Hobby-Hacker in Chicago ein System entwickelt, das sie »Computerized Bulletin Board System« (CBBS, später nur noch BBS) nannten: eine Art Computeranrufbeantworter. Mit Hilfe eines Modems konnten sich Computernutzer dort anmelden und dann Text oder andere Inhalte vom »Bulletin Board« auf den eigenen Rechner übertragen oder aber selbst Nachrichten hinterlassen. Die Boards waren so etwas wie die ersten Internet-Seiten. In Deutschland wurden sie »Mailboxen« genannt.
    Der Zugriff war unglaublich langsam – frühe Modems übertrugen Daten mit einer Geschwindigkeit von 300 Baud, was 300 Buchstaben pro Sekunde entspricht. Auch der Austausch über ein BBS verlief in aus heutiger Sicht epischen Zeiträumen, manchmal dauerte es Monate, bis man auf eine auf einem Board hinterlassene

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