Nerd Attack
reißen würden, antwortete er: »Vielleicht erobern die Geeks nicht die Welt, sondern alle anderen holen endlich auf und beginnen, die Dinge schätzen zu lernen, von denen die Geeks schon immer wussten, dass sie cool sind.«
In den Achtzigern bildeten Rollenspieler ein Kontinuum. Am einen Ende die Tabellen- und Würfelversessenen, die Fahrplan-Auswendiglerner. Und am anderen diejenigen, die sich nur für die Geschichten und die Charaktere interessierten, für das gemeinsame Erzählen und gleichzeitige Erleben von Abenteuern. Meine Freunde und ich neigten eher der letzten Kategorie zu. Wir probierten »Das schwarze Auge«, »Midgard« und das »Mittelerde Rollenspiel System«, das uns allerdings vor das zentrale Problem stellte, dass man in der Welt des »Herrn der Ringe« dann doch immer gleich gegen Ringgeister oder Sauron persönlich antreten will, was die Anzahl der spielbaren Geschichten naturgemäß ziemlich einschränkt. Wir versuchten auch Abseitigeres wie »Paranoia«, ein Science-Fiction-Spiel, in dem Misstrauen gegen alles und jeden ein zentrales Element ist, sowie die Fantasy-Football-Simulation »Blood Bowl«, in der ein Troll-Quarterback einen Goblin samt Ball in die Endzone des Gegners werfen kann, um einen Touchdown zu erzielen. Und wir spielten Steve Jacksons »Illuminati«, ein satirisches Kartenlegespiel, das von der »Illuminatus!«-Trilogie von Robert Anton Wilson und Robert Shea inspiriert ist. Diese Trilogie ist einer der Schlüsseltexte der komplexen, mit Zitaten, Querverweisen und Anspielungen gespickten Nerd-Kultur der Achtziger. Auch wenn viele der selbst erklärten Fans – mich eingeschlossen – die drei umfangreichen, ziemlich verwirrenden Bände in Wahrheit niemals zu Ende gelesen haben.
Im Spiel »Illuminati« besteht die Aufgabe darin, eine möglichst ausufernde und zwangsläufig absurde Machtstruktur aus Einflussgruppen und Geheimgesellschaften aufzubauen, darunter die »Bayrischen Illuminati«, die CIA und UFOs, aber auch das Bermuda-Dreieck und die »Diener Cthululus«. »Illuminati« nahm die ohnehin satirisch gemeinte, von einer komplizierten Weltverschwörung handelnde Wilson-Trilogie als Vorlage und stellte die Frage ins Zentrum, wie so eine von sinistren Mächten heimlich gelenkte Gesellschaft denn nun konkret aussehen könnte – mit kuriosen Ergebnissen. Ein kleiner Ausschnitt aus einer typischen »Illuminati«-Struktur sieht so aus: Die »Internationale Kommunistische Verschwörung« kontrolliert den Staat Kalifornien und die »Gnome von Zürich«, die wiederum Kontrolle über die »Gesellschaft für Zwietracht«, die Mafia und die »Star Trek«-Fans ausüben. Es gehört zu den bizarreren Wendungen der Geschichte der Nerd-, Hacker- und Computerkultur, dass sowohl die »Illuminatus! «-Trilogie als auch der Hersteller des »Illuminati«-Spiels in den für die Hacker-Szene prägenden Ereignissen am Ende der Achtziger und zu Beginn der Neunziger jeweils zentrale Rollen spielen sollten – aber dazu später.
Die »Diener Cthulus« entstammten den Horrorgeschichten des amerikanischen Schriftstellers H.P.Lovecraft, noch so einem Eckpfeiler der Nerd-Kultur. Lovecrafts Geschichten spielen alle in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, es geht darin um uralte, äußerst hässliche, aber mächtige Gottheiten, »in der Tiefe« hausende Monster, deren Namen immer zu viele Konsonanten am Stück enthalten. Und um wahnsinnige Kultisten, die versuchen, die uralten Wesen und Gottheiten zu beschwören, damit diese der Menschheit unaussprechliche Dinge antun. Die Geschichten durchweht eine Atmosphäre der Verlorenheit, der Verzweiflung und des Wahnsinns angesichts dunkler Mächte, die der vermeintlich heilen Welt im Tentakelumdrehen den Garaus machen könnten – eine hervorragende Metapher für das Lebensgefühl der Achtziger.
Natürlich existiert auch zu Lovecrafts Welt ein passendes Rollenspiel. »Call of Cthulu« unterscheidet sich von anderen Spielsystemen unter anderem dadurch, dass die größte Gefahr, die einer Spielfigur droht, nicht der Tod ist: Jede Begegnung mit einem Ungeheuer, einem Vampir oder den grausigen Taten verblendeter Monsterbeschwörer erhöht das Risiko, dem Wahnsinn zu verfallen. Weil das aber äußerst lästig und für den Spielverlauf eher hemmend ist, verzichteten meine Freunde und ich in unserer Version des Spiels nach und nach auf die Wahnsinnswürfelei. Die Spielfiguren in unseren »Cthulu«-Runden überlebten in der Regel
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