Nerd Attack
Computeranimation zu tun hat: »Titanic«. Nerd-Kultur ist heute Leitkultur.
Spätestens seit den »Matrix«-Filmen der Wachowski-Brüder sind auch die abseitigeren Ideenwelten aus dem Reich der Science-Fiction im Mainstream angekommen, Geschichten im Geiste von Philip K. Dick, Robert Sheckley und anderen, die erfundene Universen erschufen, um darin Gedankenexperimente über das menschliche Bewusstsein, den freien Willen, Illusion, Simulation und Realität ablaufen zu lassen.
Viele der Bücher und Ideen, die wir in den Achtzigern für unsere geheime, von der Welt der Erwachsenen abgekoppelte Untergrundliteratur hielten, die von Eltern mit milder Skepsis und von Deutschlehrern mit Argwohn bis Verachtung betrachtet wurde, sind heutzutage verlässliche Umsatzbringer. Der Hang zum Eskapismus hat keinen Deut nachgelassen, im Gegenteil. Der Ausstieg aus der realen Welt ist zu einer bevorzugten Beschäftigung geworden. Den Inhalt von eigentlich für Jugendliche gedachten Büchern wie denen der »Harry Potter«-Reihe sollte man heute auch als Erwachsener zumindest grob kennen, alles andere gilt als peinliche Bildungslücke. Wer 1984 wusste, wer Sauron ist, war ein Eingeweihter. Wer es 2010 nicht weiß, ist ein Ahnungsloser.
Einzig die wirklich zentralen Werke der »Cyberpunk«-Literatur, etwa die bis heute extrem einflussreichen Romane von William Gibson, hat sich die große Wiederverwertungsmaschine Hollywood bislang nicht angeeignet. Diverse Gibson-Verfilmungen sind bereits im Vorfeld gescheitert. Dabei haben seine Romane und Kurzgeschichten, allen voran die »Neuromancer«-Trilogie, wohl größeren Einfluss auf tatsächliche Entwicklungen in der realen Welt gehabt als irgendein anderes Stück Literatur aus den Achtzigern. Gibson ist ein Jules Verne des Computerzeitalters, einer, der schon eine visuelle Metapher für das Internet präsentierte, bevor das World Wide Web erfunden wurde. In seiner »Neuromancer«-Welt können Menschen über am Kopf angeklebte Elektroden oder andere Zugänge direkt in die Datennetze einsteigen, körperlos durch einen virtuellen Raum aus Licht und Information fliegen, einen Ort, dem Gibson den Namen »Cyberspace« gab. Manche haben implantierte Steckplätze am Kopf, in die sich bei Bedarf Speicherchips einschieben lassen, die Informationen enthalten, etwa Fremdsprachenkenntnisse. Die besten unter den Datenreisenden werden »Konsolen-Cowboys« genannt und können die Sicherheitsmechanismen überwinden, mit denen große Unternehmen, Regierungen oder Militärs ihre Rechnersysteme gegen Eindringlinge zu schützen versuchen. In Gibsons Welt ist das eine lebensgefährliche Beschäftigung: Das »schwarze Eis«, mit dem die Informationsgiganten seiner düsteren Zukunft ihre Schatzkammern umgeben, kann für jeden tödliche Auswirkungen haben, der damit in Berührung kommt. Die Konsolen-Cowboys riskieren, dass ihnen ein Stromschlag das Gehirn grillt, wenn sie sich durchs »black ice« zu wühlen versuchen. Die Welt, in der diese Konsolen-Cowboys leben, ist ein düsterer, von der Turbo-Globalisierung veränderter Ort: Unternehmen sind dort so mächtig wie Staaten und halten sich eigene Armeen, die Menschen betäuben sich mit Drogen oder versinken in virtuellen Realitäten, um der realen Welt zu entfliehen. Die »Cyberpunks« – ein Begriff, der zur Beschreibung von Gibsons Antihelden geprägt wurde, bei ihm selbst aber nicht vorkommt – sind die Outlaws dieser dystopischen Gesellschaften, die sich der Kontrolle, Überwachung und Ruhigstellung durch die Mächtigen entziehen und in den Datennetzen nach Freiheit suchen. Andere Autoren neben Gibson, etwa Rudy Rucker und Bruce Sterling, entwarfen ähnliche finstere Zukunftsvisionen.
»Der Schockwellenreiter« von John Brunner ist einer der weniger bekannten Schlüsseltexte dieser Jahre, ein Vorläufer der Cyberpunk-Literatur der Achtziger. Das Buch ist ein auch aus heutiger Sicht noch enorm weit blickend wirkender Bericht aus einer düsteren Zukunft, in der skrupellose Wissenschaftler künstliche Wesen züchten, eine ultramobile Business-Elite ihr entwurzeltes Dasein nur noch mithilfe von Tranquilizern ertragen kann und Eltern ihre Kinder an Albtraumagenturen übergeben, die dann zu Erziehungszwecken freudianische Traumata wie den Mord an der eigenen Mutter inszenieren. Der Held der Geschichte ist ein einsamer, hyper-intelligenter Untergrundkämpfer, der das computergestützte Überwachungssystem seiner Gesellschaft so gut beherrscht, dass er sich von
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