Nerd Attack
Dateien, wenngleich überwiegend harmlose Dokumente. Als jedoch klar wurde, dass die Sache auffliegen würde, machte der CCC die Sache 1987 prophylaktisch öffentlich und versuchte, das Ganze einmal mehr als gut gemeinte Aktion im Dienste der Computersicherheit zu verkaufen. Wau Holland und Steffen Wernéry hatten den Verfassungsschutz bereits vorab über die Vorgänge informiert. Trotzdem wurden ihre Wohnungen durchsucht. Seit dem 1. August 1986 war, dank dem Zweiten Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, das »Ausspähen von Daten« und rechtswidrige »Datenveränderung« auf fremden Rechnersystemen strafbar. Die Ermittlungsverfahren gegen die CCC-Spitze wurden schließlich eingestellt, aber das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Club als Truppe digitaler Robin Hoods war erschüttert. Auch in den Reihen der Mitglieder selbst entwickelte sich gegenseitiges Misstrauen.
Derweil hatten Karl Koch und seine Komplizen längst begonnen, weit Schlimmeres anzustellen, als ein paar Dokumente von Nasa-Rechnern herunterzuladen. Zumindest Pengo, möglicherweise auch Urmel hatten Kontakt zu den Vax Busters. 1986 gingen sie dazu über, ihr Wissen an den Feind jenseits des Eisernen Vorhangs zu verkaufen. Der Croupier und Amateurdealer Pedro fuhr nach Ostberlin und nahm in der sowjetischen Botschaft mit dem dortigen KGB-Vertreter Kontakt auf. Auch wenn der Russe den selbst ernannten Vertreter erfolgreicher Hacker aus dem Westen zunächst nicht ganz ernst nahm, ließ er sich von einer Probelieferung erhackten Materials schließlich überzeugen. Von da an pendelte Pedro regelmäßig in den Osten, zuletzt immer durch den Berliner Bahnhof Friedrichstraße, der nicht nur als regulärer Grenzübergang, sondern i auch als Agentenschleuse diente. Pedro fühlte sich wie James Bond. Wenn er mit Geld in der Tasche zurückkam, feierte die Fünfertruppe: »Wir saßen alle zusammen, so’n Haufen Koks auf’m Tisch und ’n Piece Schwarzen. So is’ das abgelaufen mit den Siegesfeiern.«
Für Karl, der längst dabei ist, eine Psychose zu entwickeln, sind die Drogenpartys möglicherweise der letzte Schubs, der ihn über den Rand stürzen lässt. Er dreht durch, landet in der Psychiatrie, wird, mithilfe von Freunden, in andere Kliniken verlegt, zwischenzeitlich kurz »befreit« und in einer Landkommune untergebracht, um schließlich auf eigenen Wunsch in psychiatrische Behandlung zurückzukehren.
1987 weist der amerikanische Astrophysiker und Systemadministrator Clifford Stoll am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien nach, dass deutsche Hacker die Rechner seines Instituts für Datenreisen missbraucht und dabei Daten entwendet haben. Von dort aus lässt sich auch Zugriff auf Rechner des militärischen Netzwerks »Milnet« erlangen. Stoll wird durch eine Abrechnungsdifferenz über Rechenzeit im Wert von 75 Cent auf den Einbruch aufmerksam und macht sich dann, zunehmend besessen von der Jagd, an die Verfolgung der Eindringlinge. Später schrieb er ein Buch über seine Erlebnisse, das sich hervorragend verkaufte. Zunächst findet Stoll für seine Jagd wenig Unterstützung – weder CIA noch NSA oder Secret Service kann er für seine Erkenntnisse interessieren. Schließlich legt er ein besonders umfangreiches, angeblich streng geheimes Daten-File als Köder aus. Über das FBI wird ein Kontakt zu deutschen Behörden geknüpft, die Bundespost richtet eine Fangschaltung ein. Weil Urmel, der mittlerweile als Einziger der KGB-Hacker noch aktiv ist, auf den Köder hereinfällt und der Download etwa eine Stunde dauert, können deutsche Ermittler endlich feststellen, wo der Urheber der Angriffe sitzt. Urmels Wohnung wird durchsucht, Computer und Datenträger werden beschlagnahmt – nachweisen jedoch kann man ihm nichts. Die konfiszierten Disketten sind verschlüsselt, und Urmels Anwalt stellt fest, dass die Fangschaltung nicht richterlich genehmigt war. Das Verfahren wird auf Eis gelegt, aber Urmel steht von nun an unter Beobachtung. Trotzdem hackt er weiter, Pedro verkauft die Beute nach Ostberlin.
Auch die deutschen Medien interessieren sich jetzt für Urmel, doch der hält sich bedeckt. Stattdessen verfallen zwei Hörfunkjournalisten auf Karl Koch. Als er bereits in einem betreuten Wohnheim für psychisch Kranke untergebracht ist, nehmen zwei Mitarbeiter des NDR Kontakt zu ihm auf – auf der Suche nach einer saftigen Story über geheimnisvolle Hacker und ihre faszinierenden Aktivitäten. Weil Koch Geld braucht, vielleicht
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