Nerd Attack
skrupellose Sensationsgier in den Tod getrieben hätten.«
In der Folge enthauptet der CCC sich beinahe selbst. Holland zieht sich weitgehend zurück. Gegen andere Köpfe des Clubs wird der Vorwurf erhoben, sie arbeiteten heimlich mit dem Verfassungsschutz zusammen. Die alte Garde ist tief zerstritten. Am Ende bleibt nur Andy Müller-Maguhn, bis heute einer der bekanntesten Köpfe des CCC. Mit 19 Jahren wird er Kassenwart, Sekretär und Büroleiter. Tim Pritlove, damals gerade nach Hamburg umgezogen, erlebt die Situation so: »Damals war der Club gar nicht als solcher erkennbar. Da war nur noch Andy.«
Holland-Biograf Kulla fasst die katastrophalen Konsequenzen für den CCC und dessen mühsam erhackte Glaubwürdigkeit als Sachwalter einer positiven, friedlichen Computernutzung so zusammen: »Jetzt, angesichts des offenkundigen Bruchs jeder noch so weiten Auslegung der Hackerethik, war klar, dass die weiße Weste nicht sauberzuhalten war. Die Enttäuschung brach sich Bahn und traf eigentlich die Falschen. Die ›unmoralischen‹ Hacker hatten ja nie behauptet, sich an Levys oder Waus Gebote zu halten; im Gegenteil waren sie in manchen Fällen davon ausgegangen, Sippenschutz zu genießen, egal, wie weit sie gehen würden.«
Die deutsche Öffentlichkeit machte kurzerhand alle Hacker für die Taten der Hannoveraner Verräter verantwortlich. Aus der »Hochachtung vor der Tüchtigkeit dieser Leute«, die Sparkassenchef Schlömann nach dem BTX-Hack bekundet hatte, war innerhalb weniger Jahre ein tiefes Misstrauen gegenüber den offenbar völlig skrupellosen »Computerfreaks« geworden. Ihnen in Fragen von Datenschutz, Netzwerkarchitektur oder digitalen Bürgerrechten zu vertrauen, erschien unmöglich. In deutschen Parlamenten war ohnehin kaum jemand zu finden, der sich für diese Themen interessierte hätte. Jetzt war auch die einzige nichtkommerzielle Lobbygruppe, die sich der Gestaltung der digitalen Revolution hätte annehmen können, aus dem bundesdeutschen Diskurs bis auf weiteres ausgeschlossen. Eine faszinierte, aber verwirrte Öffentlichkeit wandte sich mit einer gewissen Erleichterung wieder ab von den unheimlichen digitalen Weiten, die da draußen offenbar existierten.
Kapitel 5
Althippies, Acid Phreaks und die Freiheit der Netze
»Internet ist, da man schwer hineinkommt und sich dort schwer zurechtfindet, hauptsächlich eine Welt der Computerjockeys. Aber, sagt [Mitch] Kapor: ›Man muss sich von der Idee lösen, dass es nur für Nerds ist und die Schönheit in seiner Seele erkennen.‹ Man stelle sich ein benutzerfreundliches Multimedia-Internet vor, das über ein Glasfasernetz läuft: Praktisch unbegrenzte Kapazität und Reichweite in einer Welt billiger Videoausrüstungen, subtil interaktiver Software und so weiter. Die Nutzungsweisen dieses Netzwerks wären wie unterschiedliche Mischungen aus Fernsehen, Radio, Telefonen, Computern, Magazinen, Massen-Mailings, CB-Funk – ein neues Medium von solcher Flexibilität und Macht, dass man tatsächlich nicht vorhersagen kann, wie es genau sein wird. Das ist die Vision der Hacker.«
Das liberale US-Magazin »New Republic« im Jahr 1993 über Mitch Kapors Vision vom Netz
Die Aktionen, die Strafverfolger, Sicherheitsleute von Telekommunikationsunternehmen und vor allem der Secret Service der USA kurz nach dem Prozess gegen die KGB-Hacker durchführten, waren weitaus umfassender als das, was in Deutschland geschehen war. Es gab Dutzende unangekündigter Hausdurchsuchungen; Computer, Modems, ja sogar Drucker und Mäuse wurden beschlagnahmt, viele Mailboxen auf diese Weise urplötzlich zum Verschwinden gebracht. Agenten traten Türen ein und hielten unbescholtenen Bürgern Waffen unter die Nase. Die Jugendzimmer von Teenagern wurden durchsucht, verwirrte und verzweifelte Eltern blieben ohne Erklärung – und meist ohne Telefon – zurück. Der Secret Service beschlagnahmte Dutzende Computer und weit über 20 000 Disketten voller Daten. Aus dem Verkehr gezogen wurden auch diverse Mailboxsysteme, einschließlich aller dort ausgetauschten privaten Kommunikation, gelesener wie ungelesener E-Mails. Eine ganze Reihe echter oder vermeintlicher Hacker landete vor Gericht, in diversen US-Bundesstaaten und aufgrund unterschiedlichster Vorwürfe.
Die Beamten in den US-Polizeibehörden und die Geheimdienste waren vermutlich wegen des auch in den USA mit besorgtem Interesse verfolgten Auffliegens des KGB-Hacks nervös. Es gab allerdings in den Vereinigten Staaten
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