Nerd Attack
ebenfalls eine Reihe von Vorfällen, die ein massives, konzertiertes Vorgehen gegen den digitalen Untergrund zu rechtfertigen schienen. Da war zum Beispiel der »Martin Luther King Day Crash« im Januar 1990: Beträchtliche Teile des Telefonnetzes von AT&T versagten innerhalb von Minuten ihren Dienst, Anrufe liefen ins Leere, AT&T-Kunden waren telefonisch nicht zu erreichen. Gab es da nicht diese Leute, die sich Phreaks nannten und ständig illegale Dinge mit den Telefonnetzen anstellten, die kostenlose Ferngespräche führten, stundenlange internationale Telefonkonferenzen abhielten und, Gipfel der Dreistigkeit, gelegentlich sogar Strafverfolger anriefen, um sie zu verhöhnen? Diese Kerle waren doch sicher verantwortlich für das, was da geschehen war.
Hinzu kam eine Reihe weiterer Vorfälle, von denen der wichtigste die Veröffentlichung des sogenannten E911-Dokuments im Hacker-Digitalmagazin »Phrack« war. Das Dokument, benannt nach der amerikanischen Notruf-(Emergency-) Nummer 911, das ein Mitglied der Hacker-Gruppe »Legion of Doom« sich auf illegale Weise verschafft hatte, beschrieb bürokratische Prozeduren zur Wartung, Organisation und Aufrechterhaltung des Notrufdienstes im Netz des Telekommunikationsunternehmens BellSouth. Als Anleitung für Hacker war es gänzlich ungeeignet, denn es enthielt weder technische Spezifikationen noch Passwörter oder andere geheime Informationen. Tatsächlich war das Dokument für Menschen, die mit den Hierarchien und dem internen Jargon des Telekommunikationsunternehmens nicht vertraut waren, gänzlich unverständlich. Seine Veröffentlichung – bereinigt um tatsächlich kritische Details wie die Durchwahlen von BellSouth-Technikern – war kaum mehr als ein symbolischer Akt im Dienste der totalen Informationsfreiheit. Dennoch strengte BellSouth, nachdem das Dokument bereits viele Monate lang nicht nur bei »Phrack« verfügbar gewesen war, sondern auch bereits einem US-Strafverfolger vorlag, schließlich einen Prozess gegen einen der beiden Herausgeber der Hacker-Postille an. Einen jungen Mann, der sich »Knight Lightning« (Blitzritter) nannte.
Die wohl kurioseste unter den Hausdurchsuchungen, die der Secret Service durchführte, betraf jedoch den Schöpfer des »Illuminati«-Kartenlegespiels (siehe Kapitel drei): Die Räumlichkeiten des Spieleverlags Steve Jackson Games (SJG) wurden durchsucht, sämtliche Rechner und Peripheriegeräte beschlagnahmt. Einer der Angestellten war in seiner Rolle als Mitglied der »Legion of Doom« mit dem E911-Dokument in Berührung gekommen – nun wurde sein Arbeitgeber nicht nur rein prophylaktisch mit verdächtigt, sondern auch noch seines gesamten Werkzeugs beraubt. Die Aktion des Secret Service brachte Steve Jackson Games an den Rand des Bankrotts, Anklage wurde gegen das Unternehmen jedoch nie erhoben. Besonderes Interesse erweckten bei den Geheimagenten Unterlagen zu einem Spiel namens »Cyberpunk«, einem Rollenspiel, das in einer Welt à la William Gibson spielt, mit Hackern, Gehirnimplantaten und gefährlichen Reisen durch fremde Datennetze. Die Agenten hielten die Anleitungsbücher für Ausbildungsmaterialien für Digitalanarchisten und Cyber-Kriminelle. Viel Sympathie aufseiten der Presse, geschweige denn der Behörden, fand Jackson nicht. Schließlich galten Rollenspiele nach wie vor als die Jugend verderbende, mindestens suspekte Machwerke. Dass jemand, der damit sein Geld verdiente, auch mit böswilligen Hackern unter einer Decke steckte, schien durchaus plausibel.
Anders als in Deutschland jedoch lösten die konzertierten Aktionen gegen den digitalen Untergrund eine massive Gegenbewegung aus. So kam es, dass in den USA 1991 eine Organisation zur Verteidigung der Bürgerrechte im digitalen Raum entstand.
John Perry Barlow und The Well: elektronisches Grenzland
Der erste Streich, der schließlich zur Schaffung der Electronic Frontier Foundation führte, war ein Schlag gegen den einstigen Hippie-Konzern Apple. Schon Mitte der achtziger Jahre waren die Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak aus dem Unternehmen ausgeschieden. Eine Führungsmannschaft aus Berufsmanagern hatte stattdessen das Ruder übernommen. Manchen Apple-Fans und alteingesessenen Angestellten des Unternehmens missfiel das außerordentlich, Apple verlor einige seiner kreativsten Köpfe.
Im Sommer 1989 wurde der Konzern dann bestohlen. Jemand, der sich »NuPrometheus League« nannte, kopierte ein Stück hauseigene Software, das einen Display-Chip für
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