Nerd Attack
des uramerikanischen »Frontier Spirit« bedroht sei durch Technokraten, Bürokraten und übereifrige Gesetzeshüter, erreichten neben vielen anderen auch den Multimillionär Mitch Kapor.
Der Reiche und der Hippie: die Gründung der Electronic Frontier Foundation
Kapor, der mit der damals revolutionären Tabellenkalkulation »Lotus 1-2-3« sehr reich geworden war, galt in den achtziger und frühen neunziger Jahren als das zweite Genie des Software-Business neben Bill Gates. Er investierte sein beträchtliches privates Vermögen in eine Reihe von Hightech-Startups und unterhielt einen Privatjet, um seinen Schützlingen regelmäßige Besuche abzustatten. Kapor war überdies ein ehemaliger Lehrer für transzendentale Meditation, hatte in Kalifornien als Progressive-Rock-DJ gejobbt, war begeisterter Leser und Sammler des »Whole Earth Catalog« – und ein regelmäßiger Gast in den Diskussionsforen von The Well. Auch er war von Bundespolizisten in Sachen NuPrometheus befragt worden, denn er hatte tatsächlich zum Kreis der Empfänger der ominösen Disketten mit einem Stückchen Apple-Code gehört. Als er nun, dank Barlows pointiertem Text, begriff, wie weit das FBI sein Fahndungsnetz im Dienste Apples gespannt hatte, hatte er das Gefühl, etwas tun zu müssen. Barlow hatte Kapor in seiner Eigenschaft als Journalist schon einmal für eine Computerzeitschrift interviewt, man hatte sich bestens verstanden. Der Millionär bestieg seinen Jet und stattete dem Hippie in Pinedale, Wyoming, einen Besuch ab.
Die beiden Männer waren sich in ihrem stundenlangen Gespräch bald einig in ihrer Einschätzung der Situation, und wenig später, im Juni 1990, vereinbarten sie die Gründung einer Stiftung. Die Electronic Frontier Foundation (EFF), schrieb Barlow in »Crime and Puzzlement«, sei eine »Zwei- (möglicherweise Drei-)Mann-Organisation, die Mittel für Bildung, Lobbyarbeit und juristische Schritte im Zusammenhang mit digitaler Redefreiheit und der Ausweitung der Verfassung auf den Cyberspace sammeln und verteilen wird«. Als ein Artikel in der »Washington Post« erschien, in dem ziemlich ungenau berichtet wurde, Kapor habe einen »Verteidigungsfonds für Hacker« gegründet, sorgte das für weiteren Zulauf. Apple-Mitgründer Steve Wozniak erbot sich, für jeden von Kapor eingesetzten Dollar einen weiteren zu spenden. John Gilmore von Sun Microsystems, noch ein Silicon-Valley-Millionär, bot Barlow per E-Mail eine sechsstellige Summe zur Unterstützung des Vorhabens an. Schnell fanden sich weitere Sponsoren, darunter einige der prominentesten Figuren der gerade entstehenden digitalen Intelligentsia der USA, viele davon alteingesessene »Wellbeings«.
Innerhalb weniger Jahre feierte die neu gegründete Organisation erste, sehr prominente Erfolge. Der Prozess gegen Knight Lightning von »Phrack« wegen der Veröffentlichung des E911-Dokuments wurde eingestellt – weil Verteidigung und Sachverständige belegen konnten, dass das Schriftstück keineswegs gefährlich und auch nicht sonderlich geheim war. Knight Lightning, der in Wahrheit Craig Neidorf heißt, studierte Jura und wurde kurze Zeit später einer der ersten Angestellten der EFF.
Steve Jackson Games verklagte mithilfe der EFF den Secret Service der Vereinigten Staaten auf Schadensersatz und gewann – der Geheimdienst musste dem Spieleproduzenten 50000 Dollar Entschädigung für den durch die Beschlagnahmung seiner Rechner erlittenen Gewinnausfall zahlen und die noch weitaus höheren Gerichtskosten tragen.
Diese ersten Erfolge waren gut für das öffentliche Image der EFF, die von vielen zunächst als Spinnerei, als teures Hobby einiger Silicon-Valley-Millionäre betrachtet worden war. Im Laufe weniger Jahre jedoch entwickelte die Organisation unter Kapors auf Kooperation und ständigem Netzwerken basierender Führung einen so großen Einfluss, dass man heute mit Fug und Recht sagen kann, sie sei mitverantwortlich dafür, wie das Internet heute aussieht. Wenn man sich alte Kapor-Sätze aus den frühen Neunzigern ansieht, ist man geneigt, dem Mann eine prophetische Gabe zu attestieren. Bruce Sterling zitiert den Millionär beispielsweise mit folgenden Worten – aus einem Interview im Jahr 1993, dem Jahr, in dem der erste Webbrowser Mosaic entwickelt wurde: »Ich sehe eine Zukunft, in der jeder einen Knotenpunkt im Netz haben kann. In der jeder ein Verleger sein kann. Das ist besser als die Medien, die wir heute haben. Es ist möglich. Wir arbeiten aktiv daran.«
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