Nerd Attack
Get«. Inzwischen erscheint all das längst selbstverständlich, jedes Textverarbeitungsprogramm kann das. Damals mutete es sciencefictionhaft an, denn was auf PC-Bildschirmen erschien, hatte mit Objekten aus der wirklichen Welt meist wenig zu tun. Das begann sich nun zu ändern. Apple hatte den Wandel mit der Einführung grafischer Benutzeroberflächen eingeleitet, auch der Commodore Amiga hatte schon ein »Graphical User Interface« (GUI). Doch das erste Windows, das sich auf PCs wirklich flächendeckend durchsetzte, war Version 3.1x, und die kam erst im Frühjahr 1992 auf den Markt. Bis dahin begrüßten einen PCs in der Regel ähnlich radikal wie der C64: mit einem schwarzen Bildschirm und einem blinkenden Cursor. Wer die Sprache der Maschine nicht beherrschte, scheiterte schon an der Eingangstür.
Wir hatten keine Ahnung, wie schnell die wirkliche Welt dann doch auf Computerbildschirmen auftauchen würde. Wie schnell sich die Rechenmaschinen nahezu alle Medien einverleiben würden, nicht nur Texte, sondern Musik, Fotos und schließlich ganze Spielfilmkollektionen. Wir haben die Digitalisierung nicht vorhergesehen – aber als sie dann kam, hat sie uns auch nicht überrascht. Dass Computer lernen können, hatte uns ja schon der C64 gelehrt.
Ich layoutete schon in den Achtzigern Schülerzeitungen auf eine Art, die einem nur ein Vierteljahrhundert später wie eine Übung aus lang vergangenen Zeiten vorkommt. Texte wurden mit der Schreibmaschine getippt, immer in der gleichen Schriftart, die in »Word« heute »Courier« heißt. Überschriften und Grafiken wurden mit der Schere aus großen Layoutbögen ausgeschnitten und mit Pritt-Stift in die Textlücken geklebt. Es war ein mühsames, pappiges Geschäft, weil die Papierfitzelchen immer an den Fingerspitzen kleben blieben statt dort, wo man sie hinhaben wollte. Die Ergebnisse sahen aus wie Erpresserbriefe bei »Derrick«.
Die Publikationskultur der deutschen Jugend der Achtziger basierte auf Schere, Kleber – und Betteln. Das Kopieren und Drucken von Exemplaren kostete Geld, deshalb gehörte es zu den wichtigsten Aufgaben innerhalb einer Schülerzeitungsredaktion, Buchläden, Tanzschulen und Schreibwarenhandlungen abzuklappern, um den Inhabern ein paar Mark für eine Viertelseite Werbung abzuschwatzen. Wir schwafelten von perfekter Zielgruppenansprache und mogelten bei der Auflage. Man muss sich all das ab und zu vor Augen führen, um zu begreifen, wie wertvoll die nahezu unbegrenzten Publikationsmöglichkeiten sind, die das Internet heute bietet.
Natürlich ging auch beim Computerlayouten ständig etwas schief. Bereits eingefügte Texte verschwanden oder erschienen plötzlich in einer anderen Type, Textblöcke hüpften wie Rumpelstilzchen über den Bildschirm. Wie für Angehörige meiner Generation typisch vermieden wir dennoch den Blick in Anleitungsbücher (für PageMaker gab es mehrere, jedes dicker als das örtliche Telefonbuch). Im Kampf mit den Videorekordern unserer Eltern – in jedem Haushalt wurden diese widerspenstigen Monster von den Kindern programmiert – hatten wir die Grundsätze der Menüsteuerung auf die harte Tour gelernt. Die Prinzipien unsichtbarer Hierarchien, durch die man mit Pfeiltasten, Mausklicks oder Steuerkreuzen navigieren kann, waren tief in unserem Bewusstsein verankert. Wer die VHS-Geräte der Achtziger bezwungen hatte, den konnte später keine Benutzeroberfläche mehr schrecken. Wenn mein Vater dagegen mit seinem Navigationssystem spricht, klingt das bis heute wie die Kommunikation zwischen einem verunsicherten Menschen und einem Alien mit heimlichen Invasionsplänen.
Längst war, ohne dass unsere Eltern oder wir selbst das explizit begriffen hätten, eine Kluft entstanden. Nahezu jeder Angehörige meiner Generation kennt diese langen Telefongespräche, in denen man ein Elternteil oder älteren Verwandten Klick für Klick, Tastendruck für Tastendruck durch die Menüs einer Benutzeroberfläche führt, immer wieder, weil die Abläufe in den in einer analogen Welt ausgebildeten Denkapparaten dieser Generation einfach nicht hängen bleiben. Die Interaktion mit der Maschine ist für sie von unterschwelliger Angst geprägt. Das liegt auch daran, dass die Generation unserer Eltern nicht verstehen kann, dass Computer zu Vergebung fähig sind. Wir haben uns längst an die Gnade und Geduld des »Undo«-Buttons gewöhnt, haben gelernt, uns ihm anzuvertrauen. Wir probieren einfach aus, schließlich gibt es ein Zurück. Software ist auf
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