Nerd Attack
wissenden, oft auch namenlosen Protagonisten. Das Gefühl des Geworfenseins in eine feindliche, unübersichtliche Welt transportieren diese Spiele deshalb besser als alle anderen. Dazu passt, dass sie besonders häufig im Krieg spielen: Die trotz schwerster Bewaffnung faktische Ohnmacht eines einfachen Soldaten, der nur Befehle befolgt und ständig um sein Leben fürchten muss, fängt dieses Genre perfekt ein. Sogenannte 3rd-Person-Spiele – in denen man eine Beobachterperspektive einnimmt, seine Spielfigur sehen kann, wie die »Lara Croft«-Reihe, wie »Grand Theft Auto« oder »Resident Evil« – erzählen im weitesten Sinne Abenteuergeschichten, oft genug solche, in denen die Hauptfiguren Verzweifelte auf der Suche nach Erlösung sind: Hard-boiled-Krimis, Zombie-Horror, Heldenreisen. Ego-Shooter dagegen haben mehr mit Kafka und Remarque gemein als mit Joseph Conrad und Jack London. Auch wenn das hinter all den Explosionen und Schießereien manchmal kaum zu erkennen ist.
Beleuchtet wurde »Dooms« trostlose Spielwelt von flackernden Neonröhren und rot glühenden Lavaströmen. Wenn man sich nach fünf, sechs Stunden Spielen ins Bett legte, träumte man von endlosen, schlecht beleuchteten Gängen und dem albern-grässlichen Grunzen der Dämonen. »Doom« war schrecklicher, blutiger und faszinierender als alles, was die Spielebranche bis dahin hervorgebracht hatte. Zu schrecklich für den deutschen Jugendschutz: Ende Mai 1994 wurde das Spiel hierzulande auf den Index der jugendgefährdenden Medien gesetzt, durfte fortan weder beworben noch öffentlich zum Verkauf angeboten oder gar an Jugendliche unter 18 abgegeben werden. Dem Erfolg von »Doom« auch in Deutschland tat das jedoch keinen Abbruch. Uns Dämonenj äger in der Mediziner-WG interessierte die Kritik am Spiel ohnehin herzlich wenig, schließlich waren wir erwachsene Männer. Wenn wir von »Doom« Albträume bekamen, war das unsere Sache.
Die Rechenkraft für solche 3-D-Welten besaßen bald nur noch die eigentlich als Arbeitsmaschinen gedachten PCs. Das Wettrüsten, das uns die hochgezüchteten Rechner von heute gebracht hat – mit Prozessoren, die um Größenordnungen schneller arbeiten als Georgs 486er damals, mit Grafikkarten, die für sich genommen mehr Arbeitsspeicher besitzen als ein kompletter Hochleistungsrechner Mitte der Neunziger – verdanken wir den Gründern des »Doom«-Herstellers id Software, John Carmack und John Romero. Sie etablierten die heute allgemein akzeptierte Tatsache, dass ein aktuelles Spitzenspiel in der höchsten Auflösung nur auf einem aktuellen Spitzenrechner läuft. Die Tatsache, dass man mit einem handelsüblichen PC heute Videos in HD-Auflösung schneiden kann – eine Fähigkeit, die vor zehn Jahren nur unbezahlbare Spezialgeräte hatten –, verdanken wir der Grafikbesessenheit Carmacks und seiner Fans. Der Chefentwickler des Grafikkartenherstellers Nvidia hat über einen der beiden »Doom«-Entwickler einmal gesagt: »Carmacks Spiele gehen immer bis an die Grenze.«
In Wahrheit waren die Dämonen im ersten »Doom« übrigens noch zweidimensionale Pixel-Pappkameraden. Hätte man einen von ihnen tatsächlich im virtuellen Raum umrunden können, wäre er von der Seite betrachtet dünn wie ein Blatt Papier gewesen, wenig furchteinflößend. Die Dämonen waren jedoch klug genug, einem stets ihre hässliche Front zuzuwenden.
»Doom« markiert in vieler Hinsicht einen Wendepunkt. Schon die Art seiner Veröffentlichung und Verbreitung war ein Meilenstein: Carmack und Romero waren Veteranen der über Telefonleitungen vernetzten Bulletin Boards oder Mailboxen, sie hatten schon Jahre zuvor begonnen, sich in Computerdiskussionsforen im Stile von The Well einzuwählen, und dort viel von dem gelernt, was sie über Programmierung wussten. Sie hatten zweifellos auch von den Crackern und ihren illegalen »Warez-Boards« gelernt, mit eigenen Augen gesehen, wie rasant sich Spiele verbreiteten, wenn sie nichts kosteten. Den Geist des Teilens und Mitteilens, der dort herrschte, verwandelten sie in ein für diese Branche völlig neues Geschäftsmodell: »Doom« wurde verschenkt. Nicht die komplette Version des Spiels, nur die ersten acht Level wurden als »Shareware« unter die Leute gebracht, mit der expliziten Aufforderung, sie weiterzugeben – ganz legal. Das Marketing sollten die Spieler selbst erledigen. Wer die übrigen 16 sowie zwei »geheime« Level spielen wollte, musste sich die Vollversion bestellen und dafür bezahlen.
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