Nerd Attack
Das System funktionierte besser, als Carmack und Romero das zu hoffen gewagt hätten. Die kostenpflichtige Version des Spiels verkaufte sich weit über eine Million Mal.
Lange bevor »Doom« veröffentlicht wurde, hatte sich eine immense Erwartungshaltung entwickelt. Mit den Vorläufern »Commander Keen« und vor allem »Wolfenstein 3-D«, in dem die Spieler auf uniformierte Nazis Jagd machten (und das wegen Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole in Deutschland verboten wurde), hatte id Software eine treue Fangemeinde gewonnen, und die wartete nun ungeduldig auf das in Online-Foren von den Firmengründern selbst vollmundig angekündigte »Doom«. In der Firmenzentrale gingen Anrufe ein, in denen die Angestellten wüst beschimpft wurden, wie der Journalist David Kushner in seinem Buch »Masters of Doom« berichtet. Wann das Spiel denn bitteschön endlich fertig werde? Als der heiß ersehnte Tag schließlich gekommen war, standen sich die Fans selbst im Weg: Der Server einer Universität, auf den der Marketingmanager von id Software das Ur-«Doom« am 10. Dezember 1993 hochladen wollte, war durch den Ansturm der Wartenden so überlastet, dass der frustrierte Vermarkter selbst keinen Zugang bekam: »Es war, als ob sich tausend Menschen vor dem Ticketschalter eines Konzerts drängten und damit dem Einzigen, der den Schalter öffnen konnte, den Weg versperrten«, schrieb der Sachbuchautor J. C. Herz später in »Joystick Nation«. Schließlich gelang es dem Id-Angestellten, die Fans in den angeschlossenen Chatrooms zum Platzmachen zu überreden. Er lud »Doom« auf den Server, und sofort begann eine Welle um den Globus zu rollen, die noch zwei Jahre später nicht verebbt war.
»Doom« war das erste Spiel, das sich überwiegend als Download verbreitete. Der Medienwissenschaftler Mathias Mertens hat dem Spiel in seinem Buch »Kaffeekochen für Millionen«, über die Meilensteine in der Geschichte des Internets, ein ganzes Kapitel gewidmet. »Nicht nur, dass ›Doom‹ mittels des Internets erfolgreich war, weil es so ingeniös verbreitet wurde«, schreibt Mertens, »es machte auch das Internet selbst erfolgreich, indem es als erste Software Menschen miteinander im Netz interagieren ließ.« Wobei diese Interaktion sich überwiegend darauf beschränkte, aufeinander zu schießen. Eine der langfristig erfolgreichsten Neuerungen in »Doom« war das »Death Match« für mehrere Spieler: eine Online-Schlacht, jeder gegen jeden. Für jeden Abschuss gibt es Punkte, für jeden virtuellen Tod der eigenen Spielfigur einen Punktabzug.
Das Spiel verbreitete sich wie ein Virus, Schätzungen zufolge war es zum Höhepunkt seiner Popularität auf 10 Millionen Rechnern in aller Welt installiert, und das zu einer Zeit, als ein PC noch nicht zur Standardausrüstung eines bürgerlichen Heims gehörte. Große Unternehmen wie Intel und Mitch Kapors Lotus Development erließen offizielle »Doom«-Verbote, weil der Multiplayer-Modus die Firmennetze lahmlegte. An der University of Louisville in Kentucky entwickelte ein findiger Systemadministrator ein kleines Programm, das nur einen Zweck hatte: Es durchsuchte alle Universitätsrechner nach »Doom«-Installationen und löschte sie.
Der Sensationserfolg war kein Strohfeuer, er hielt jahrelang an. Bei einer Werbeveranstaltung für Microsofts brandneues Betriebssystem Windows 95 im namengebenden Jahr hatten die Dämonen und Zombie-Marines einen Gastauftritt: Auf der Leinwand erschien der Lauf der Schrotflinte, es folgte eine typische Sequenz, in der einige uniformierte Zombies und ein gehörnter Dämon niedergeschossen wurden, begleitet von den immer gleichen synthetischen Grunzern und Todesseufzern. Sieht man sich das Video heute an, fällt auf: »Doom« sah noch ziemlich mies aus im Vergleich zu dem, was PCs heute an hochauflösenden, fotorealistischen Grafikwelten erzeugen können. Plötzlich aber wurde im Microsoft-Clip ein Teil der Szenerie höchst realistisch. Man hörte ein Seufzen, die Flinte senkte sich, und der Schütze trat scheinbar hinter der Kamera hervor, nun in normaler Fernsehauflösung, nicht als Computergrafik. Er trug einen langen, dunklen Trenchcoat, die Flinte in der rechten Hand. Als er sich zur Kamera umdrehte, dürfte ein Raunen durch die Reihen der Zuschauer gegangen sein: Der Mann im Trenchcoat war Bill Gates, unter dem Mantel trug er eine wenig martialisch wirkende Strickjacke. »Diese Spiele«, sagte Gates im offenkundigen Bemühen, beeindruckt zu wirken, »werden
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