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Nerd Attack

Nerd Attack

Titel: Nerd Attack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Stoecker
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wirklich realistisch. Vielleicht spiele ich nächstes Jahr sogar bei diesem großen ›Doom‹-Turnier mit.«
    Mit dem Clip sollten Entwickler und Geschäftspartner auf die Spielefähigkeiten von Windows 95 hingewiesen werden. Gates sprach, zwischen den blutigen Pixel-Leichen seiner letzten Opfer stehend, über die Grafik, den einfachen Installationsprozess (»unter DOS war das ja unmöglich«) und vernetzte Multiplayer-Spiele. Dazwischen drehte er sich kurz zur Seite und »erschoss« einen ins Bild wankenden, brabbelnden Zombie-Soldaten: »Unterbrich mich nicht.« Der Clip endete mit einem schwarzen Bildschirm, auf dem eine leicht abgewandelten Version des Microsoft-Werbespruchs »Where do you want to go today?« erschien. Umrahmt von Blutspritzern stand da: »Wen wollen Sie heute exekutieren?«
    Es ist unwahrscheinlich, dass Microsoft sich heute einen vergleichbaren Scherz erlauben würde. Doch damals war »Doom« noch kein böses Killerspiel, das womöglich Kinder zu Amokläufern macht. Das Highschool-Massaker im US-Städtchen Columbine ereignete sich erst 1999. Als sich herausstellte, dass die beiden Täter unter anderem gerne »Doom« gespielt hatten, brach die Debatte über Computerspielgewalt los, die bis heute nicht verstummt ist. 1995 aber galt »Doom« noch nicht als Gefahr, sondern als Blick in die Zukunft. Es war Rock ’n’ Roll. Und den brauchte der Windows-Konzern damals so nötig wie heute. Weil man selbst wenig davon zu bieten hatte, lieh man sich eben ein bisschen Coolness von id Software – mit Erfolg.
    »Doom« etablierte den PC als Spieleplattform der Wahl, zumindest für Erwachsene. Mit einiger Berechtigung kann man behaupten, dass Microsoft John Carmack und John Romero einen nicht unwesentlichen Teil seines Erfolgs verdankt, denn ohne Spiele hätten sich PCs niemals so schnell verbreitet. Spielkonsolen gab es damals nur von zwei Herstellern, Sega und Nintendo. Beide konzentrierten sich auf fröhliche, bunte, kindgerechte Spiele, ihre Helden waren ein blauer Igel namens Sonic und Nintendos berühmter Klempner Mario mit seiner roten Mütze. Bis der erste wirklich erfolgreiche Ego-Shooter für eine Spielkonsole herauskam, ein James-Bond-Spiel namens »Goldeneye 64«, sollte es noch Jahre dauern: bis 1997. »Doom« aber verankerte dieses Genre auf dem vermeintlichen Arbeitsgerät PC. Und es schuf als Abfallprodukt etwas, das man »user generated content« nennt: Fans des Spiels eigneten sich die »Doom«-Grafik-Engine schnell an, sie begannen, eigene Level, eigene Spielumgebungen, völlig neue Szenarien zu entwerfen. Bald veröffentlichte id Software den Quellcode des Spiels ganz offiziell, sodass diese Modifikationen völlig legal waren.
    Eine Gemeinschaft wuchs heran, die regen Austausch pflegte, die Werkzeuge entwickelte und neue Ideen umsetzte. Es gibt »Doom«-Versionen, die im »Star Wars«-Universum spielen, und andere, in denen die Schwerkraft niedriger ist und die Figuren – im Gegensatz zum Original – auch in die Luft springen können. Fans entwickelten eigene Editoren, die das Erstellen neuer Spielumgebungen auch Menschen ohne jedes Verständnis für Programmierung erlauben. Die Nerd-Kultur hatte plötzlich ein mächtiges neues Werkzeug bekommen. Einen Welten-Editor – auch wenn die Welten noch reichlich pixelig waren und die Geschichten, die sich in ihnen abspielten, meist eher schlicht und ziemlich blutig.
    Damit war John Carmacks eigene Prophezeihung in Erfüllung gegangen: »Wenn ich ein Spiel erschaffe, erzähle ich keine Geschichte«, hat er dem Magazin »Wired« einmal gesagt. »Ich erschaffe eine Umgebung, in der interessante Dinge passieren werden.«

Die Weltenbauer machen sich selbständig
     
    Carmack und Romero verwandelten Arbeitsgeräte in Spielmaschinen. Ihre Fans wiederum machten aus dem Stück Software namens »Doom« ein eigenes generatives System, innerhalb dessen sich wiederum Neues schaffen, eigentlich gar nicht Vorgesehenes umsetzen ließ. Auf flexibler Hardware läuft flexible Software, die sich ihrerseits abändern, erweitern, zweckentfremden lässt. Es passieren, um es mit Carmack zu sagen, »interessante Dinge«.
    Die bislang interessanteste, aber bis heute auch umstrittenste i aller Spätfolgen von Carmacks Weltentwürfen entstand ein paar Jahre später, 1999, als sich zwei Studenten, ein Amerikaner namens Jess Cliffe und der Vietnam-Kanadier Minh Le, über das Internet kennenlernten. Sie teilten eine intensive Liebe zu Spielen im Allgemeinen und dem

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