Nerd Attack
veröffentlichte ein Computeradministrator der Eliteuniversität Carnegie-Mellon in Pittsburgh, Pennsylvania, im universitären Intranet folgenden Brandbrief: »Seit ›Doom‹ heute veröffentlicht wurde, haben wir festgestellt, dass das Spiel das Campusnetzwerk zum Stillstand bringt [ ... ] Das Rechenzentrum ersucht alle ›Doom‹-Spieler, keinesfalls im Netzwerkmodus zu spielen. Die Nutzung von ›Doom‹ im Netzwerkmodus verursacht ernsthafte Leistungsabfälle des Netzwerks, das wegen der Examenszeit ohnehin maximal ausgelastet ist. Wir könnten gezwungen sein, die PCs jener Nutzer, die das Spiel im Netzwerkmodus spielen, vom Netz abzukoppeln.«
Zu Beginn der Neunziger konnten selbst die Besitzer eines schnellen Computers noch nicht ahnen, was da auf sie zukommen würde: Dass ihre Rechner binnen weniger Jahre zu den unfassbar mächtigen Multimediamaschinen herangezüchtet werden würden, an die wir uns heute schon gewöhnt haben. Zu Fenstern in fremde Welten, Fernsehern, Bildbearbeitern, Radios. Personal Computer waren in erster Linie Werkzeuge, und so sahen sie auch aus: Das Arbeitstier PC versteckte sich gewöhnlich in einem quaderförmigen, kniehohen Gehäuse in der Farbe von Sichtbeton oder Zahnstein, es machte laute Klackergeräusche und nervte mit dem beständigen Fönen seines Lüfters. Ein PC war offenkundig ein industrielles Werkzeug.
Schön war das nicht, aber gerade für Studenten ging ohne Rechner sehr schnell nichts mehr: mühsam auf der Schreibmaschine getippte Semesterarbeiten waren schon Anfang der Neunziger die Ausnahme. So wie wir als Kinder unsere Eltern zum Kauf eines C64 überredet hatten, indem wir, dreist lügend, auf Lernmöglichkeiten und »Hausaufgaben« verwiesen, wurden in den Neunzigern studentische Budgets erweitert, um einen PC anschaffen zu können, natürlich des Studiums wegen. Der klassische Heimcomputer war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon tot, auch wenn der C64 bis 1994 weitergebaut wurde und in vielen Studentenzimmern noch Amigas, Atari-Computer und ein paar Schneider-Rechner standen. Der PC bahnte sich seinen Weg, wurde zum universellen, globalen Standard. Apple-Rechner, deren Hersteller sich nicht an die vom alten Branchenriesen IBM definierten offenen PC-Standards halten wollte, landeten abgeschlagen auf Platz zwei. Obwohl sie schon damals viel hübscher aussahen.
Ihren Status als Spiel- und Spaßgeräte verloren die Maschinen auch in den Studentenzimmern nie. Im Gegenteil: Rechner und Drucker für die paar Studienarbeiten hätte man jederzeit in den Computerräumen und Bibliotheken der Universitäten gefunden. Einen PC zu besitzen war für Studenten – von angehenden Ingenieuren und Designern einmal abgesehen – vor allem aus einem Grund attraktiv: Man konnte damit spielen. In den hässlichen Arbeitstieren versteckten sich wundersame, schreckliche, faszinierende Welten, die Nachfolger des »Elite«-Universums.
Für den durchschnittlichen 40-Jährigen hingegen, der 1994 an seinem Arbeitsplatz an einem Computer arbeiten musste, war die Maschine auch emotional so grau und uninteressant, wie sie aussah, nichts womit man sich freiwillig auch noch in seiner Freizeit beschäftigt hätte. Computer als Freunde und Spielgefährten waren in seiner Biografie ja nicht vorgekommen. Meist spielte der direkte Nachfolger der Schreib- und Rechenmaschine dieselbe untergeordnete Rolle wie seine Vorgänger. Chefs rühmten sich, auf ihren Schreibisch käme unter keinen Umständen eines dieser Ungetüme. Viele tun das noch heute, eine absurde, angeberisch reaktionäre Form der Selbstentmachtung.
Es hatte lange gedauert, bis auch für PCs Computerspiele auf den Markt kamen, die mit den Angeboten für C64, Amiga und Co. mithalten konnten. Bis in die späten Achtziger waren die eigentlich doch sehr leistungsfähigen Bürorechner für Spieler allenfalls zweite Wahl.
Erst im Dezember 1993 änderte sich das endgültig. In einer Medizinerwohngemeinschaft, in der ich in den ersten Jahren meines Studiums viel Zeit verbracht habe, gab es einen, wie man das nannte, IBM-kompatiblen PC mit für damalige Verhältnisse fantastischen Grafikfähigkeiten. Darauf lief ab Anfang 1994 wochenlang jeden Abend ein einziges Spiel. Es machte ein Genre weltberühmt, das bis heute erbitterte Feinde hat. »Doom« (Verhängnis, Verderben) war der erste wirklich erfolgreiche Ego-Shooter der Geschichte, die Mutter aller »Killerspiele«.
Mein Freund Georg hatte sich seinen PC selbst gebaut. In einem
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