Nero Corleone
dir einen schönen Platz im Heu, da kannst du schlafen.«
Und sie ging mit ihm und setzte sich neben ihn ins Heu, da, wo man von der Luke aus den Ort Carlazzo und den ganzen Hof gut überblicken konnte. Gegen Abend kam der Bauer mit dem großen Blechtopfund brachte das Futter für die Katzen. Nero ging nicht hinunter. »Bring mir was mit«, sagte er zur Grigiolina, und sie sprang davon und kam mit einem schönen Brocken Fleisch zurück.
»Der Bauer ist freundlich«, sagte sie, »du kannst ruhig hinuntergehen, er wird dich nicht verjagen.«
»Noch nicht«, sagte Nero, »ich habe meine Gründe.« Und er schaute ihr in die sanften Augen. »Du siehst aus wie jemand, den ich sehr geliebt habe«, sagte er, und die Grigiolina schnurrte glücklich.
I n dieser Nacht schlich Nero noch einmal hinüber in das Haus auf dem Hügel. Er kroch zu Isolde ins Bett, und sie sagte schlaftrunken: »Da bist du ja, mein Äffchen, ich hab dich gesucht. Wo warst du?«
Nero drückte sich fest an Isoldes Bein und schnurrte. Sie schlief wieder ein, aber er nicht. Er lag wach bis zum Morgen und dachte an all die Teller, die sie ihm gefüllt hatte. Er dachte an ihre Hand, die ihn tausendmal gestreichelt hatte, an all die dummen Namen, die sie ihm gegeben hatte, aus Liebe! aus Liebe! Er dachte an die Tierarztbesuche, wenn er krank war, an die Essigtinktur, die sie für seine Pfote gemacht hatte, als ihn die Biene gestochen hatte, und an all die Papierbällchen, die sie ihm an langweiligen Regentagen durch die Wohnung geschossen hatte. Er dachte daran, wie sie immer zuerst nach ihm gerufen hatte, wenn sie heimkam, und er hörte auf Roberts leises Schnarchen und dachte daran, wie oft Robert ihn geknufft und »na, alter Junge« zu ihm gesagt hatte.
Er nahm Abschied. Als es hell wurde, leckte er mit seiner rauen Zunge ganz vorsichtig Isoldes Hand, die über den Bettrand hinunter hing, und steckte seine Nase noch einmal tief in ihren blauen Samtpantoffel. Dann kletterte er durchs offene Fenster nach draußen und lief zum Hof hinüber, wo gerade der Hahn zum ersten Mal krähte.
V ier Tage und vier Nächte versteckte er sich im Heu, fraß nichts, sagte nichts, wollte niemanden sehen, duldete nur die Grigiolina in seiner Nähe, die sich Sorgen machte. Vier Tage und vier Nächte hörte er Isolde nach ihm rufen. Er hörte sie mal nah, mal fern, mal unten im Tal, mal oben auf dem Berg, und sie rief all diese törichten Namen — mein Prinzchen, mein Engelchen, mein kleiner Hase. Mein Nero, wo bist du. Er muckste sich nicht. Er muckste sich auch nicht, als sie auf den Hof kam und den Bauern fragte. Nein, den Nero hatte er nicht gesehen, und den würde er doch sofort wiedererkennen. Ja, natürlich würde er sie benachrichtigen, wenn er auftauchte. Isolde weinte und ging.
Nero steckte seinen Kopf noch tiefer ins Heu.
Dann wurden drüben die Fensterläden geschlossen und das Auto beladen. Ein letztes Mal hörte er Isoldes tränenersticktes Rufen. Als das Auto abfuhr, kroch er aus dem Heu, kletterte auf das Dach und sah ihm mit milchigen Augen nach, bis es in der Kurve hinter der Kirche verschwunden war.
» Arrivederci «, murmelte er, »Isolde, leb wohl, ciao, Roberto, ragazzo mio , alter Junge, pass gut auf unser Mädchen auf, du weißt ja, ohne uns ist sie völlig hilflos.«
Und dann ging er hinunter auf den Hof, wo der Bauer in den Beeten hackte und runde Augen bekam, als er ihn sah.
»Du Satan«, sagte er. Mehr nicht. Sie sahen sich lange an, der alte Bauer und der alte Kater, und dann streckte der Bauer die runzlige Hand aus und strich Nero über den Kopf. »Na dann«, sagte er und arbeitete weiter. Nero setzte sich zu ihm, tat, als ginge ihn das alles gar nichts an, putzte sein Fell, und die Grigiolina sprang herbei und brachte ihm eine frischgefangene, leckere kleine italienische Maus und
AUS.
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