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Nero Corleone

Nero Corleone

Titel: Nero Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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und sie wachte nicht mehr auf.
    Nero war wie versteinert. Er verkroch sich unter dem Bett, er fraß nicht, er putzte sich nicht. Isolde weinte sich die Augen rot. Sie wickelte Rosa in ein wunderschönes Spitzennachthemd, das ihr Robert mal aus Venedig mitgebracht hatte, »damit sie in was Italienischem beerdigt wird!«, und Robert hob im Garten unter der Magnolie ein kleines Grab aus. Da saß dann Isolde oft auf einem weißen Stuhl und weinte um ihre Rosa, und Nero lag auf ihrem Schoß, von Kummer zerrissen. Weinte er auch? Man konnte es nicht genau sehen, vielleicht kniff er nur wegen der Sonne die Augen ein wenig zusammen, aber er war still und voller Kummer, und die Mäuse huschten frech herum und wisperten: »Na, Corleone, alt geworden, was?«

A uch in diesem Jahr wollten Isolde und Robert im Herbst wieder mit ihren Bücherkoffern nach Italien fahren.
    »Ich bring es einfach nicht übers Herz, den kleinen traurigen Kerl jetzt hier allein zu lassen«, sagte Isolde, als es ans Packen ging, und Robert antwortete: »Er hat doch Frau Wiegand, die tut alles für ihn.«
    »Trotzdem«, seufzte Isolde, »er tut mir so leid ohne sein Mädchen ... und dann auch noch ohne uns ... wir nehmen ihn diesmal mit.«
    »Bist du verrückt?« sagte Robert. »Das sind zehn Stunden im Auto, und weißt du noch ...«
    »Jaja«, sagte Isolde, »damals war er ja noch klein. Das übersteht er schon, er wird bestimmt während der Fahrt schlafen. Und vielleicht tröstet es ihn, seine alte Heimat wiederzusehen.«
    Heimat.
    Bei diesem Wort spitzte Nero in all seinem Gram die Ohren. Er schloss die Augen und sah den Hof, die Madonnina, seine Mutter, den alten Hund, den Esel, die Hühner. Er hörte die silbrigen Blätter der Olivenbäume rauschen und erinnerte sich, wo der Bauer das Beet mit der Katzenminze hatte. Heimat! Letztlich, tutti santi in colonna , bei allen Säulenheiligen, letztlich war er Italiener, er war alt, er war müde, und er wollte auf einmal nur noch nach Hause. Er wusste, dass er jetzt tüchtig um Isolde herumscharwenzeln musste, dann würde sie ihn schon mitnehmen. Denn so viel hatte Nero in all den Jahren gelernt: in diesen Dingen des Alltags hatte Robert letztlich nichts zu sagen. Gut, er bestimmte, ob sich die Amerikaner in Haiti einmischen sollten oder nicht; ob man die Grünen wählen sollte oder nicht; ob der amerikanische Dollar fiel oder stieg und ob nun Peter Handke ein großer Dichter war oder nicht. Aber Isolde bestimmte, was gekocht wurde, ob ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, wann und wohin man verreiste und ob Katzen in Betten schlafen sollten oder nicht. (Sie sollten.)

    Isolde bestimmte, dass Nero mit nach Italien fahren durfte. Frau Wiegand wurde diesmal abbestellt, das Haus verriegelt, und Nero ergab sich in sein Schicksal: zehn Stunden im Körbchen. Er seufzte tief, rollte sich fest zusammen und schlief ohne eine einzige Klage ein. Er träumte von der ersten langen Reise, vor vielen Jahren, mit Rosa, seinem kleinen Mädchen, er träumte von den italienischen Nächten, in denen der Himmel blauer und die Sterne näher waren als in Deutschland, vom Duft der Holzscheite in den Kaminen und von seiner Mutter, der Madonnina, an die er fünfzehn Jahre nicht gedacht hatte.
    »Mamma«, dachte er, »Mamma, dein kleiner Junge kommt nach Hause.«

A ber die Madonnina lebte natürlich längst nicht mehr. Gleich nach der Ankunft und nach einem Teller mit kräftigendem Suppenfleisch stiefelte Nero vorsichtig den Hügel hinunter und über die Wiese zu seinem alten Bauernhof. Die Kirchturmuhr von Carlazzo bimmelte eine ihrer schrägen Melodien, und Nero duckte sich hinter die Haselnusshecke und sah hinüber auf den Hof.
    Der Bauer war alt und krumm geworden und streute gerade Körner für die Hühner aus, ein großer, bunter Hahn war dabei. Nero bemühte sich, jemanden wiederzuerkennen, aber die dummen Hühner sahen für ihn immer alle gleich aus, er hatte sie schon damals nicht auseinanderhalten können. Offensichtlich gab es keinen Hund mehr — niemand bellte. Er sah verschiedene Katzen herum huschen oder träge auf den Dächern von Schuppen und Hühnerstall liegen, er kannte sie nicht, und sie kamen ihm doch vertraut vor — graue, schwarzweiße, rotweiße, eindeutig Kinder oder Enkel der Madonnina. Die Madonnina sah er nicht.
    Als es dämmerte, nickte er da im Gras ein wenig ein — zwischen diesen beiden Häusern, dem Bauernhof, von dem er stammte, und dem Haus auf dem Hügel, das Menschen gehörte, bei denen er ein

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