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Nero Corleone

Nero Corleone

Titel: Nero Corleone Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Heidenreich
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erkämpfte sich vom ersten Tag an durch Gardinenzerreißen und Geschrei den Weg ins Freie. Er ging und kam, wie es ihm passte, und es dauerte nicht lange, da war er der Chef der ganzen Gegend.
    Wie soll ich das erklären ... er wusste einfach, wie man sich Respekt verschaffen musste. Er wusste, wann es mit Säuseln besser ging und wann mit gezielten Ohrfeigen, und er hatte eben so eine Art, dass niemand ihm widerstehen oder widersprechen konnte. Die alte, schwarzweiß gefleckte Klara von Oma Riegert hatte so einen eleganten Kater noch nie gesehen und wäre gern etwas jünger gewesen; der weiße Timmi von Frau Brettschneider rannte weg, sobald er Nero nur sah; der kleine Amadeus von Hahns ließ immer ein paar Brocken Futter für Nero auf seinem Teller, damit er keinen Ärger mit ihm bekam, die silbergraue Karthäuserin von Fräulein von Kleist, die niemals ins Freie durfte und fast alle Katzenschönheitspreise gewonnen hatte, sah von ihrer Fensterbank aus sehnsüchtig nach Nero; mit Kagels Kater Karl verband Nero schon bald eine schöne Männerfreundschaft: gemeinsam spazierte man nachts durch die Gärten oder über die Dächer und besprach, was wichtig war. Wenn Kagels verreisten — und das war oft der Fall — saßen Karl und Nero ganze Nächte lang in den tiefen Ledersesseln, rauchten auch schon mal eine Montecristo Nr. 1 aus Kagels Zigarrenkiste oder liefen zusammen über die Klaviertasten und machten prächtige moderne Musik.

S chräg gegenüber wohnte ein ziemlich starker Kater, der Tiger hieß und der Lehrerin gehörte. Mit ihm hatte Nero noch die meisten Schwierigkeiten gehabt. Bei der ersten Begegnung hatte ihm Tiger mit angelegten Ohren und gesträubtem Fell ein »Verpiss dich!« entgegen gefaucht. Nero sah ihn damals nur an und sagte: »Tiger, ich sehe, du hast Mumm in den Knochen und bist nicht so eine verzärtelte Kreatur wie das, was sonst hier rumläuft. Wir beide könnten uns jetzt bis aufs Blut prügeln, was für dich gar nicht gut ausgehen würde, oder wir sagen: du nicht in mein Revier, ich nicht in deins, paletti ?«
    Tiger fauchte noch mehr und sagte: »Ach, ich werd nicht mehr. Gerade angekommen, und da willst du hier auch schon ein Revier haben?«
    Schlechtgelaunt und voller Lust darauf, diesem italienischen Fatzke ein paar Ohrfeigen zu servieren, robbte er noch näher. Nero sah ihn kummervoll an und sagte: »Tiger, Tiger, nun hast du dich aber kräftig übernommen.« Und ganz ruhig, als war gar nichts, putzte er mit seiner weißen Pfote sein schwarzes Fell und beobachtete, wie Tiger näher schlich.
    »Hau ab«, sagte Tiger drohend.
    »Putzelchen, einen anderen Ton bitte«, antwortete Nero, »schau, in Italien nannte man mich Corleone, was in deiner Sprache Löwenherz heißt. Ich war dort — nun, sagen wir, eine bekannte Größe.«
    »Und wenn du der Kaiser von China wärst«, sagte Tiger, der bei seiner Lehrerin allerhand an Bildung mitbekam, »mir imponierst du nicht mit deinem schwarzen Affenpelz.«
    Nero legte sich auf den Boden, ganz flach, reglos, und nur sein Schwanz zuckte hin und her.
    »Affenpelz?« fragte er milde, »hast du Affenpelz gesagt, du seltsame gestreifte Wurst?« Und dann sprang er schnell wie ein Gedanke auf Tigers Nacken und biss einmal kurz zu. Tiger schrie auf, und Nero lockerte den Biss ein wenig und knurrte: »War das Wort, das du eben sagtest, wirklich Affenpelz, oder sollte ich mich verhört haben?«
    »Verhört!« krähte Tiger, und die Lehrerin kam auf den Balkon und rief: »Tiger? Ist was?«
    »Muttilein ruft«, sagte Nero und ließ Tiger los, der davon sauste und seine Leiter zum ersten Stock hochrannte, wo ihn die Lehrerin in Empfang nahm und sich erschrocken sorgte: »Du blutest ja!«
    Tiger musste mit vier Stichen genäht werden und zehn Tage lang eine entwürdigende Halskrause tragen, die ihn in der ganzen Gegend zu einer lächerlichen Figur machte. Wann immer er in Zukunft Nero sah, lief er schnell zu seiner Lehrerin, und Nero spuckte verächtlich aus und brummte: »Muttersöhnchen.«

I n einer milden Sommernacht gelang es Nero, die bildschöne Karthäuserin des Fräulein von Kleist ins Freie zu locken. »Hallo, kleine Kleist«, sagte er mit seiner süßesten Stimme zu ihr, und sie schmolz dahin und gebar dem Fräulein von Kleist fünf Junge: drei schwarze und zwei graue. Das Fräulein von Kleist war völlig außer sich, denn der Stammbaum der Karthäuserin reichte wie ihr eigener bis ins 12. Jahrhundert zurück, und da darf so etwas einfach nicht

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