Nero Corleone
vorkommen! Ja, darf vielleicht nicht, kommt aber doch, und was will man schon gegen die Liebe machen! Die kleine Kleist gefiel Nero ausnehmend gut, und so blieb es nicht bei diesen fünf gemeinsamen Kindern. Bald waren in ganz Marienburg, in Bayenthal, Zollstock, ja, bis hinauf nach Klettenberg Kinder der Karthäuserin in mehr oder weniger guten Familien untergekommen, und manch schwarzes war dabei, das seinem Vater Nero Corleone in Sachen Frechheit durchaus Ehre machte. Manchmal, wenn der Mond schien, lockte Nero die kleine Kleist aus dem Haus und stieg mit ihr auf die Dächer. Dann sahen sie sich den Mond an, sangen ein bisschen, und er gurrte: »Kleine Kleist, ich sage dir, das Leben ist schön!« Und sie antwortete: »Jaja, und nächste Woche gehst du wieder mit einer anderen.« Vorwurfsvoll sah Nero sie an, zeigte ihr seine beiden Vorderpfoten — die weiße und die schwarze — und sagte mit honigsüßer Stimme: »Kleine Kleist, ich bitte dich, schau: können diese Pfoten fremdgehen?« Und dann musste sie lachen, und sie sangen noch ein bisschen.
Ab und zu brachten die andern Katzen ein schönes Mäuschen für Nero (oder wenigstens die leckerere Hälfte davon), hoben ihm ein paar Brekkies auf, und Karlheinz zum Beispiel, Karlheinz bat ihn geradezu um Schutz. Karlheinz war ein alter räudiger Kater, der allein im Freien lebte. Ohne Zuhause streifte er durch die Gärten, fand hier und da etwas zu fressen, stöberte in Abfalleimern, hatte zwei, drei Adressen, wo er schon mal im Keller schlafen durfte und einen Teller Dosenfutter bekam. Karlheinz war alt, hustete und hatte nur noch ein Auge. Er sagte zu Nero: »Hör zu, du könntest mir diesen ekelhaften Tiger vom Leib halten und den idiotischen Hund von Frau General Grabowski, dafür kann ich dir ab und zu sagen, wo eine Milchsuppe zum Abkühlen draußen steht oder so ...«
Das klappte gut. Nero versetzte dem Hund von Frau General Grabowski einen Schmiss und sagte: »Jetzt siehst du aus, wie ein Generalshund aussehen muss!« Dafür schlich Karlheinz ein paar Tage später zu Nero in den Garten und verriet: »Nummer zwanzig, die schöne Zahnarztfrau. Direkt vor der Küchentür, ein gekochtes Hühnchen, das abkühlen soll für Hühnersalat.«
»Danke, Kollege«, sagte Nero und zog sofort los. Er ließ auch für Karlheinz noch etwas übrig — es war ein dickes Hühnchen! —, und er versäumte nie, seiner Rosa ein schönes Beutestück mit nach Hause zu bringen, vor allem, wenn er von Feinkost Bollmann zurückkam.
Bei Feinkost Bollmann kauften nur reiche Leute ein: aufgedonnerte Frauen in Pelzmänteln, Pelzmäntel! Wenn Nero etwas verabscheute, dann waren das Pelzmäntel, er fühlte sich geradezu persönlich tief gekränkt durch diesen Anblick von so viel totem Fell. Die Herren, die bei Feinkost Bollmann Hummer und Champagner kauften, waren parfümierte Gecken, die Jacketts mit Seitenschlitzen trugen. Seitenschlitze! Nein, das war nicht nach Neros Geschmack, aber im Laden gab es köstliche Pasteten, zarten Lachs, Trüffelleberwurst und feinste Filets. Man musste nur in die Kühlkammer kommen, und dazu musste man an einem Hund vorbei, der aber vor lauter Feinkost in seinem Leben schon etwas vertrottelt war. Nero hatte sehr streng mit ihm gesprochen, hatte ihm geduldig erklärt, was er mit seiner weißen Pfote in Sachen Sehkraft zu machen imstande sei, hatte sich Gebell verbeten und war dann in die Kühlkammer gegangen, gleich hinter dem dicken Bollmann-Sohn Bodo her, der nicht merkte, dass eine Trüffelleberwurst vom Haken verschwand. Der Hund hatte keine Lust, sich mit Nero groß anzulegen. Er sah in Zukunft einfach blasiert zur Seite, wenn Nero kam, und Nero sagte von oben herab: »Mein Guter, es ist wieder mal soweit, ich will doch einmal sehen, was der Lachs macht. Nur keine Aufregung. Buon giorno.«
Von den zarten Lachsscheiben brachte er dann seinem Freund Karl, der kleinen Kleist und natürlich seiner Rosa etwas mit, aber die größte Portion fraß er schon selbst. Er wog inzwischen fast zehn Kilo, hatte ein dichtes, glänzendes schwarzes Fell und war der stärkste und größte Kater weit und breit.
Manchmal fanden nachts im Südpark Katzenversammlungen statt. Da wurde nicht viel geredet, man saß im Kreis, schaute in den Himmel, schwieg den Mond an, und immer war es doch klar, dass Nero der Mittelpunkt war. Wenn er aufstand, gähnte und sich streckte, wurde die Versammlung aufgelöst, wenn er sitzen blieb, saßen die andern auch still da. Höchstens
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