Nero Corleone
Hügel. Er konnte noch nicht. Er war noch nicht soweit. Er fürchtete sich. Wovor? Ja, wenn man das so genau wüsste ... Davor, wie man ihn drüben aufnehmen würde; davor, die Grigiolina wiederzusehen; davor, noch einmal ganz von vorn anzufangen; davor, alles aufzugeben, was doch sein Zuhause geworden war — die Teppiche, die weichen Sofas, die warmen Betten, die reichlich gefüllten Teller. Isoldes Schoß. Isolde!
»So anhänglich war er noch nie«, sagte Isolde gerührt zu Robert, der wieder mal an einem besonders dicken neuen Roman prüfte, ob denn nun Peter Handke ein guter Dichter war oder nicht.
»Was?« fragte Robert, der nicht richtig zugehört hatte.
»Er ist so anhänglich. Seit Rosa tot ist, weicht er mir gar nicht mehr von der Seite, mein kleiner Neroprinz«, und sie streichelte seinen schwarzen Kopf und grub ihre Nase zwischen seine Ohren. »Wir beide«, sagte sie leise, »du und ich, wir bleiben immer zusammen.«
Neros Herz zog sich zusammen vor Liebe und Kummer. Er seufzte tief und dachte: »Nein, Schönste. Eben nicht.«
Und dann sprang er von ihrem Schoß und ging hinaus. Er lief langsam hinüber zum Hof, Schritt für Schritt. Er schlüpfte unter dem Zaun durch und stand da, in der Nähe des Beetes mit der Katzenminze. Er kannte alles wieder, den Heuschuppen, die paar Weinstöcke, die Olivenbäume, er sah die Hühner picken. Die Hundehütte stand noch da, auch die Kette war zu sehen, aber die Hütte war leer. Nero hatte den Hund wirklich nicht gemocht, aber merkwürdig, jetzt fehlte er ihm beinahe. »Alter Junge«, dachte Nero, »bist wohl schon im Hundehimmel und störst da alle mit deiner Bellerei.« Ein grauweiß gestreifter Kater kam auf Nero zugeschlichen. Er hatte die Ohren kampfeslustig angelegt und den Schwanz dick gesträubt. Er fauchte leise und drohend. Nero blieb ganz ruhig stehen und ließ ihn herankommen, was den andern sehr verunsicherte. Er blieb auch stehen.
»Hau ab, du«, fauchte er.
»Nein«, sagte Nero freundlich, aber bestimmt. »Im Gegenteil, ich komm grade erst. Besser, du machst dich nicht so wichtig, wenn du nicht weißt, wen du vor dir hast, d‘accordo,verstanden ?« Und er ging mit erhobenem Kopf einfach an dem jungen, starken Kater vorbei, ohne sich noch einmal umzusehen.
Euch kann ich es ja verraten, aber es sollte unter uns bleiben: er hatte dabei ein kleines bisschen Angst. Er war innen nicht so groß, wie er außen tat, wenn ihr versteht, was ich meine. Er wusste nicht, was er getan hätte, wenn ihm der grauweiß Gestreifte jetzt zornig auf den Rücken gesprungen wäre. Aber es passierte gar nichts. Der andere blieb verdutzt sitzen, und Nero hielt Einzug auf seinem Hof. Die Hühner blickten hoch, und ein uraltes, zerzaustes, vergilbtes Huhn kam hinkend auf ihn zu und sah ihn mit einem Auge — das andere war blind — lange an.
»Corleone«, krächzte es, »bist du heimgekehrt? Ich wusste es, dass du wiederkommst. Ich habe nie vergessen, dass du mir mal ein gekochtes Ei gebracht hast.«
»Camilla«, sagte Nero gerührt, »und du bist nicht in der Suppe gelandet?« — »Wie du siehst«, kicherte Camilla, »zu zäh, zu zäh.«
Plötzlich kam die Grigiolina angesprungen.
»Da bist du ja!« rief sie aufgeregt, »ich habe allen von dir erzählt, willkommen daheim!«, und sie leckte Nero eifrig übers Gesicht.
Die andern Katzen schlichen näher, vorsichtig, aber nicht feindselig. »Ich habe deine Mutter noch gekannt«, sagte eine Schwarzweiße, »sie war sehr stolz auf dich und hat oft von dir gesprochen. Was hast du gemacht in Deutschland?«
»Dies und das«, sagte Nero, »Geschäfte und so weiter. Jetzt bin ich müde und will meine Ruhe haben.«
»Spiel dich hier ja nicht auf«, brummte der grauweiß Gestreifte missmutig, »du bist hier nicht der King.«
Nero legte seinen Kopf schief und sah ihn so lange an, dass der grauweiß Gestreifte schon unsicher wurde.
»Wie heißt du?« fragte Nero.
»Der Bauer nennt mich mascalzone «, sagte der grauweiß Gestreifte, und das heißt: Halunke. »Guter Name«, nickte Nero anerkennend. »Als ich so jung war wie du, hab ich mich auch so benommen. Man muss nur immer wissen, wen man vor sich hat.« Er zeigte Mascalzone seine weiße Pfote. »Sieh zu, dass du die nie zu spüren kriegst«, warnte er, »in Ordnung, va bene ?« Der grauweiß Gestreifte kniff den Schwanz ein und ging brummelnd weg. »Ganz der Alte!« rief Camilla, das halbblinde Huhn entzückt und gackerte.
»Komm«, sagte die Grigiolina, »ich zeig
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