Nero Corleone
die Regenwürmer und die Käfer, er sah Vögel auf den Ästen schlafen, und er hörte tausenderlei interessantes Rascheln und Knistern.
Er war glücklich. Ah, man war angekommen. Man würde sehen. Man würde gefüllte Teller und keine Sorgen mehr haben, und mit dieser Gegend würde man fertig werden.
Schritt für Schritt, tief und flach, leise und aufmerksam schlich Nero durch seinen Garten und sah sich alles ganz genau an, fing sich eine kleine dumme Maus und fraß sie bis auf die Pfoten und die Galle, die er wieder ausspuckte, leckte ein bisschen an den Eierschalen auf dem Komposthaufen der Nachbarin, erkundete noch zwei andere Gärten und saß eine Weile unter Kagels Fenster, um mitten in der Nacht den leisen Klaviertönen zuzuhören. Von ferne sah er einen dicken getigerten Kater, hatte aber keine Lust, ihn heute schon kennenzulernen, und gegen sieben Uhr morgens rollte er sich auf der Fußmatte vor der Terrassentür von Robert und Isolde zusammen und schlief ein, gerade als die Vögel am dunklen Winterhimmel zu schreien und zu flattern begannen.
A ls Isolde und Robert wach wurden, lag Rosa immer noch schlafend auf ihrer Bettdecke — aber nicht mehr zur Kugel gerollt, sondern lang ausgestreckt, die Vorderpfoten abgeknickt, und zwischen den Zähnen sah ihre kleine rosa Zungenspitze hervor. Und: sie schnarchte, ganz, ganz leise.
»Nein, wie niedlich!« flüsterte Isolde, »sie schnarcht!«
»Wieso findest du das bei ihr niedlich und bei mir regt es dich auf?« fragte Robert und reckte sich, weil ihm um Rosa herum die Beine eingeschlafen waren. Rosa wachte auch auf, streckte sich kräftig, gähnte ausgiebig und setzte sich hin. Sie überlegte, wo sie war.
»Guten Morgen, mein Schneckchen«, sagte Isolde und streichelte sie, »das war deine erste Nacht in Deutschland!« Und Rosa schnurrte und dachte: »Wo ist Nero?« — »Wo ist Nero?« rief auch Isolde und sprang aus dem Bett.
»Nero!« lockte sie und lief durchs ganze Haus. »Wo ist denn mein Mausezähnchen? Prinzlein, melde dich, komm, sag doch was!«
Ihre Stimme wurde immer höher und aufgeregter. »Mein Häschen, wo hast du dich versteckt?« rief sie, und Robert rollte sich im Bett zusammen und sagte: »Rosa, komm, wir beide schlafen noch eine Bunde.«
Aber Rosa war unruhig. Wo war Nero? Auf leisen Pfoten lief sie die Treppe hinunter und sah ihn natürlich sofort: zusammengerollt wie ein Igel lag er auf der Matte vor der Terrassentür, und die Sonne schien auf seinen schwarzen Pelz. Rosa setzte sich an die Tür und maunzte.
»Nein, mein Hasenherzchen«, sagte Isolde und kam im Morgenrock näher, »da darfst du noch nicht raus. Schau, hier ist dein Kästchen, da kannst du Pipi machen, und ... o Gott!«
Sie hatte Nero gesehen und erstarrte. »Wie kommst du denn in den Garten?« rief sie und öffnete die Terrassentür. Nero wurde natürlich sofort wach, machte einen gewaltigen Buckel, gähnte, rieb sich an Isoldes nacktem Bein und stolzierte mit steil hochgerecktem Schwanz ins Wohnzimmer.
»Her mit dem Frühstück«, forderte er, und Isolde kniete sich auf den Boden, drückte und streichelte ihn und konnte es nicht fassen: »Mein kleines Äffchen war ganz allein in der Kälte! Jetzt aber schnell warme Milch!« Und sie lief aufgeregt in die Küche. Nero dachte: »Grundguter Himmel, worüber sie sich nur immer aufregt! Nun mal rasch die Milch warm gemacht, bitte.«
Und das tat Isolde dann auch. Sie bereitete aus Hackfleisch, Weißbrot und Milch ein leckeres Essen, und da saßen sie nun wieder, der schwarze Kater und sein rundes Mädchen, dessen größte Freude ja das Essen war, und Isolde sah ihnen gerührt zu und seufzte: »Ach, ihr kleinen Engelchen.«
E ngelchen?
Um die Wahrheit zu sagen: diese beiden waren keine Engelchen. Nicht einmal Rosa. Gut, zugegeben, Rosa war ein bisschen dumm, und da kann man leicht brav sein, wenn einem sowieso nichts einfällt, was man anstellen könnte, und wenn man am liebsten a) frisst und b) schläft. Aber Rosa entwickelte sich in den nächsten Monaten zu einer gefürchteten Jägerin. Stundenlang konnte sie geduldig auf der Lauer liegen, scheinbar schlafend, nur ein bisschen blinzelnd, nur die Ohren wackelten ein wenig, und dann — zack! mit einem einzigen Sprung, mit einem einzigen Hieb hatte sie die Maus, auf die sie so lange gewartet hatte. Leider fing sie manchmal auch einen kleinen Vogel, der nicht schlau und nicht schnell genug war, und alles, was sie fing, fraß sie ganz und gar auf. Und Nero ... der
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